Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)
im Gegenteil – gerade vor wenigen Tagen war er mit zwei Frauen hinauf in eines der Zimmer gegangen und hatte Dinge getan, die nicht einmal zwischen angetrauten Eheleuten gemacht werden sollten. Doch wen kümmerte das, hier, wo es keine Sittenwächter gab.
Eines jener lüsternen Weiber kam in diesem Moment auf die drei Männer zu. Sie erinnerte sich noch gut an die seltsamen Wünsche ihres Gastes, den sie sofort wiedererkannte – mindestens ebenso gut, wie an dessen üppige Bezahlung. »Sieh an, sieh an, wer uns heute wieder beehrt«, sprach sie schnurrend wie eine Katze und schwang die Hüften besonders auffällig. Geschickt stellte sie ein Bein zwischen Johannes’ Beine und rieb ihren Oberschenkel wie zufällig an seinem Gemächt. »Wollt Ihr, dass ich meiner Freundin Hella Bescheid gebe? Wir könnten wieder zu dritt hinauf gehen und ein wenig Spaß haben … so, wie neulich.«
Johannes griff vollkommen ungeniert an ihren fast freiliegenden Busen, drückte ihn nach oben und biss spielerisch hinein.
Sie kicherte und wehrte seine Berührungen nur scheinbar ab.
Dann ließ Johannes sie wissen: »Zuerst muss ich mich stärken, meine Schöne, aber ich warne dich: Später gibt es für dich und deine Freundin kein Entkommen!«
Die Dirne lachte hell auf. »Ich nehme Euch beim Wort!«
»Und nun bring uns an einen freien Platz. Wir haben großen Durst!«
Nur einen Augenblick später saßen sie in einer Ecke am Ende eines langen Tisches. Die Bänke unter ihnen waren hart wie Stein, doch nachdem sie ihre Mäntel ausgezogen und sich untergeschoben hatten, wurde es regelrecht behaglich.
Vater Everard hatte auf den Platz an der Wand bestanden. Ihm waren die liederlichen Weibsbilder zu unberechenbar, und außerdem fürchtete er, seine Hände nicht beherrschen zu können, sollte sich eine der Metzen ihm tatsächlich anbieten. Anfänglich blickte er bloß starr in seinen Becher. Erst nach einer Weile wagte er, sich umzuschauen. Wäre ihm draußen nicht so kalt gewesen und wäre sein Magen nicht so leer, hätte er die Gesellschaft von Regen und Wind dieser Schenke sicher vorgezogen, so unwohl war ihm die Gesellschaft der freizügigen Weiber.
Kuno hingegen blickte mit offenem Mund herum. Nicht, dass er in Köln nicht auch in Schenken mit hübschen Wirtsdamen oder in Hurenhäusern gewesen war, doch hier schien jedes Weib eine willige Hure zu sein. Anders als die übellaunigen Dirnen, die er so kannte, lachten diese Frauen und warfen sich regelrecht auf die Schöße der Männer, die nach Belieben zugreifen durften.
Johannes, der Kunos Blick belustigt verfolgte, erklärte: »Der Wirt ist vor einigen Wochen gestorben, seither leitet seine Witwe die Schenke. Sie überlässt jedem Weib gegen Geld ein Zimmer, ansonsten hat keine von ihnen Abgaben zu zahlen. Sie sind sozusagen frei und können sich die Männer aussuchen.«
Kuno verstand, und er nahm sich vor, diesen Abend nicht alleine schlafen zu gehen. Doch vorher wollte er sich noch ein wenig Mut antrinken.
Die Männer prosteten sich zu und führten währenddessen ihr Gespräch aus der Kirche fort. Johannes machte mit seiner Frage den Anfang.
»Ich habe Hamburg seit dem Kranfest nicht mehr betreten. Könnt Ihr mir einige Antworten geben, Vater? Sagt mir, was ist mit meiner sündigen Schwester? Ist sie tot – verbrannt auf dem Scheiterhaufen, wie sie es verdient hat?«
»Da muss ich dich wohl enttäuschen«, entgegnete der Geistliche. »Runa und Walther von Sandstedt leben mittlerweile auf der Burg Kiel. So wie ich gehört habe, dient er dort als Spielmann. Nachdem man deine Schwester erst in die Fronerei gebracht hatte, ließ man sie nach dem St. Veitsmarkt wieder frei.«
Ein verächtlicher Laut entwich Johannes’ Mund. »Also ist alles umsonst gewesen …«
Everard musterte sein Gegenüber eindringlich. Es war wirklich überaus seltsam, mit einem Mann an einem Tisch zu sitzen, den man monatelang für eine Frau gehalten hatte und der zudem ganz offen aussprach, dass er seine Schwester am liebsten tot sehen würde. Doch da es keinen Grund mehr für irgendwelche Zurückhaltung gab, sagte auch Everard ganz unverblümt: »Nun, ganz so würde ich es nicht sehen. Weder deine noch meine Taten waren gänzlich umsonst. Schließlich haben Walther und Runa ihr Haus an Graf Gerhard II. verloren – ebenso wie deine Eltern ihr Haus an Hereward von Rokesberghe abgeben mussten …«
»Das stimmt zwar, nur reicht mir das nicht!«
Der Geistliche nickte wissend. »Tja, ich kenne das
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