Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)
Treppenstufen der Straße Kattrepel hinter dem Dom, war es glatt.
»Du solltest besser meinen Arm nehmen, Ava.«
»Ja, du hast re…« Bevor Ava tun konnte, was Godeke ihr riet, verlor sie den Halt. Der abschüssige Weg tat sein Übriges, und die schöne Witwe rutschte ungebremst und schrill kreischend den Weg hinab.
»Ava …!« Godeke hatte noch versucht, im letzten Moment nach ihrem Arm zu greifen, doch alles, was er von der ruckartigen Bewegung hatte, war, dass er ebenso das Gleichgewicht verlor und hinfiel. »Verdammt …«, fluchte er noch vor sich hin, als er ähnlich wie Ava einige Mannslängen rutschte und sich dabei drehte.
Als sie endlich beide zum Halten kamen, lagen sie halb nebeneinander und halb aufeinander. Beide waren von Kopf bis Fuß mit pulverigem Schnee bedeckt, doch sie waren unverletzt.
Einen kurzen Schreckmoment später begann Ava zu lachen. Erst leise und verhalten, dann immer lauter und ausgelassener. Sie griff in das puderige Weiß und warf es in Godekes Gesicht. Und während ihr erschrockenes Opfer sich die Augen wischte, tat sie das Gleiche noch einmal.
Nun gab es auch für Godeke kein Halten mehr, und er wollte sich auf spielerische Weise rächen, doch Ava war schon aufgesprungen, um vor ihm wegzurennen. Gerade noch schaffte er es, ihre Taille mit einem Arm zu umfassen und sie wieder zu Boden zu ringen. Nur einen Augenblick später musste sie sich geschlagen geben, da Godeke ihre Hände festhielt.
Ein schallendes Gelächter brach unter ihnen aus und wollte nicht abebben.
Langsam gab er sie wieder frei, blieb jedoch genau wie sie im Schnee liegen.
Ava hatte bei dem Gerangel ihre Haube verloren und ihr offenbar nur leicht gesteckter Knoten hatte sich gelöst, sodass ihr dunkles, langes Haar nun zur Hälfte ihr Gesicht bedeckte.
Einer nicht zu unterdrückenden Eingebung folgend, strich Godeke ihr die weiche Haarsträhne aus dem Gesicht. Sie war seidig und wies dasselbe satte Braun auf wie ihre Augen. Stumm sah er sie an. Auch Ava verharrte, bis sie beide plötzlich die Stimmen sich nähernder Leute vernahmen.
»Schnell, nimm meine Hand.« Geschwind half er ihr auf.
»Wo ist mein Schleier?«
»Hier, ich habe ihn«, sagte Godeke und reichte ihr das weiche Tuch, das er eben aus dem Schnee gezogen hatte. Gerade noch konnte er es unterdrücken, daran zu riechen.
Ava knotete ihr Haar erneut, und band sich hastig das Tuch darum.
Mit hochroten Köpfen bogen sie in die Reichenstraße ein und erreichten nur wenig später die Grimm-Insel.
Keiner von beiden hatte gemerkt, dass sie beobachtet worden waren.
Die anderen Ritter hatten Eccard wie einen Helden behandelt. Alle wollten sie mit ihm trinken und keiner sparte damit, seine Kühnheit zu loben. Die Frauen wollten seine Geschichte wieder und wieder hören, bloß, um sich erneut vor dem immer größer werdenden Eber zu fürchten.
Als Eccard die Burg am nächsten Tag endlich verlassen konnte, ritt er zunächst nach Westen, wo Graf Gerhard II. ihn hingeschickt hatte. Doch kaum war er außerhalb der Sichtweite der Burg, nutzte er die erste Gelegenheit und zog nach Süden. Natürlich ritt er nicht in das Gebiet an der Eyder, um Erkundigungen für die Fehdezüge von Gerhard II. einzuholen. Stattdessen machte er sich auf zum Gutshof von Adolf V.
Von Plön bis zu seinem Ziel würde er das unwegsame Gebiet des nördlichen Limes Saxoniae durchreiten müssen, wo die Landschaft von zahlreichen Flüssen und Sümpfen durchzogen war. Er hoffte, dass er es zum vereinbarten Tag schaffte, doch die Zeit schien zu rasen und sein Ziel einfach nicht näher zu kommen. Der Boden war gefroren und von einer dicken Schneeschicht überzogen, ebenso wie jeder Strauch, jedes Gehölz und bald auch er selbst. Eccard hatte das Gefühl, die Sonne sei gerade erst aufgegangen, da verschwand sie auch schon wieder hinter den kahlen Baumkronen. Und als ob der Weg ihm nicht schon alles abverlangte, begann es wenig später erneut zu schneien. So vergingen fast drei Tage, bis er endlich den Gutshof sah. Er und Kylion waren erschöpft, aber sie hatten es noch rechtzeitig geschafft.
Ein Wachposten musste ihn schon von weitem entdeckt haben, denn noch bevor er das Gehöft auch nur mit einem Huf betrat, kam ein Reiter auf ihn zugaloppiert.
Eccards Herz begann zu klopfen. Wieder holten ihn die gleichen Gefühle ein, wie in der Halle von Gerhard II., als dieser ihm von der Fehde berichtet hatte. Was würde ihn jetzt erwarten? War er Freund oder Feind? Ritt er als Verräter auf
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