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Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joël Tan
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so ein … Gefühl. Ein ganz starkes Gefühl. Irgendetwas sagt mir, dass die Fohlen sehr bald kommen – und das vermutlich gleichzeitig –, und dass die Weiße unsere Hilfe brauchen wird, so, wie bei ihrem letzten Fohlen. Ihr solltet besser bleiben, Herr.«
    Albert ließ seinen Kopf gegen die hölzerne Wand hinter sich fallen und wickelte sich noch fester in die Decken ein, die Ragnhild ihnen gebracht hatte. Er glaubte dem Jungen, schließlich hatte er, was die Pferde betraf, bisher immer recht behalten. Doch in dieser Nacht fühlte sich Albert mit seinen sechsundvierzig Jahren sehr alt. Ihm taten die Glieder weh, und er sehnte sich danach, in seinen weichen Laken neben seiner warmen Ragnhild einschlafen zu können, wo er seine Nase in ihr Haar stecken konnte, das immer so wunderbar roch. Doch andererseits war es gut, dass die Fohlen sich gerade jetzt auf den Weg machten und nicht später. Übermorgen war nämlich der sechste Dezember und somit der erste Tag des Kinderbischofsspiels, den Ragnhild und er nicht verpassen wollten. Beiden war es wichtig, ihre Töchter und ihre Enkelkinder bei jeder sich bietenden Gelegenheit zu sehen – schließlich gab es davon nicht mehr so viele.
    Eigentlich hatten sie sich heute Morgen auf den Weg machen wollen, doch Jons hatte ihn zurückgehalten. Nun hoffte Albert, dass der Junge recht behielt, denn sobald die Fohlen geboren waren, wollten sie nach Hamburg reiten – leider ohne Eccard, der durch Gräfin Margaretes Weisung an die Burg gefesselt war.
    Alberts Blick wanderte zum Pagen hinüber, der keineswegs müde oder erschöpft aussah. Immer wieder stand er von ihrem aufgeschütteten Strohhaufen am Ende der Gasse des Pferdestalls auf, um in eine der Boxen zu gehen und das jeweilige Pferd mit Stroh abzureiben. Der Junge war überzeugt, dass den Stuten warm davon wurde und dass es ihnen guttat. Albert ließ ihn gewähren und schloss kurz die Augen. Er musste eingenickt sein, denn erst ein wildes Ruckeln an seiner Schulter ließ ihn die Augen wieder aufreißen.
    »Herr, Herr, wacht auf! Die Weiße liegt schon«, rief der Junge und zerrte an Alberts Ärmel. »Kommt schon, sie braucht uns jetzt!«
    Albert war mit einem Mal hellwach. Ein kurzes Aufhorchen genügte: Jons sprach die Wahrheit. Die Stute stöhnte unüberhörbar. Gemeinsam hasteten sie zur Box des Pferdes, das offenbar bereits dabei war, sein Fohlen herauszupressen. Unter seinem Schweif schauten zwei winzige Vorderhufe heraus, die noch komplett von einer weißlichen Haut umgeben waren. Die Stute schnaubte und gab ab und zu ein ächzendes Geräusch von sich.
    »Wie lange liegt sie schon?«, fragte Albert den Jungen.
    »Noch nicht so lange. Doch die Hufe des Fohlens schauen schon eine ganze Zeit raus. Ich beobachte das, seitdem Ihr eingeschlafen seid, und habe das Gefühl, es tut sich nichts mehr. Sie quält sich, Herr. Ich glaube, sie braucht jetzt Hilfe. Sollen wir vielleicht ziehen?«
    »Gleich, Jons. Lass es sie noch ein paar Mal selbst versuchen. Es ist immer besser, wenn sie es von alleine schaffen.«
    Beide starrten gebannt auf die Stute. Eben hatte sie den Kopf noch aufgerichtet gehabt und sich regelmäßig zu ihrem steckengebliebenen Fohlen umgesehen, jetzt allerdings lag sie komplett auf der Seite. Immer wieder spannte sie sich so sehr an, dass alle vier Beine starr von ihrem Körper abstanden. Dabei prustete und schnaubte sie. Dann entspannte sie sich wieder, ließ die Beine sinken, bevor es erneut losging. Ihr weißes Fell war mittlerweile komplett verschwitzt. Bald gab es keinen Zweifel mehr: Sie plagte sich gewaltig, und die Geburt ging tatsächlich nicht voran. Jons hatte recht behalten.
    Albert brauchte den Jungen nur anzuschauen.
    »Ich werde die Stute beruhigen und zu ihrem Kopf gehen.«
    »Und ich werde versuchen, das Fohlen herauszuziehen«, sagte Albert und platzierte sich hinter dem Pferd.
    Während der Page leise mit dem Schimmel sprach, ergriff Albert die schmalen Beinchen des dunklen Fohlens. Sanft aber kräftig begann er in einem bestimmten Rhythmus daran zu ziehen und locker zu lassen. Das wiederholte er wieder und wieder.
    Irgendwann schien die Stute zu begreifen. Ihre Beine versteiften sich erneut, und sie presste. Fast konnte man meinen, dass sie mit Albert zusammenarbeiten wollte.
    »Ich glaube, jetzt passiert etwas«, rief Albert nach einigen Momenten aufgeregt. »Das Fohlen, es kommt langsam!«
    Jons war nicht weniger angespannt. Immer wieder versuchte er, dem Pferd auf seine spezielle Weise

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