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Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joël Tan
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Haus. Jeder kannte es – auch Ava – und dennoch sah sie es in diesem Moment mit anderen Augen: Dies war also ihr neues Zuhause. Jetzt war der Zeitpunkt gekommen, das zu akzeptieren. Auch wenn es momentan noch schwer zu glauben war, sie würde nie wieder in das Haus auf der Grimm-Insel zurückkehren. Und so wanderte ihr Blick von oben nach unten an dem Gemäuer entlang. Das große, steinerne Kaufmannshaus mit Treppengiebel, verzierten und glasierten Schmucksteinen in der Fassade und einem weiten Hinterhof, der bis zur Nikolaifleet-Schleife führte, wirkte auffallend ordentlich. Die Mägde schienen fleißig und gut erzogen zu sein, schloss Ava. Das war schon mal ein guter Anfang.
    Wie sich herausstellte, verstand auch wenigstens eine von beiden, gutes Essen zu bereiten. Ava selbst bekam zwar kaum etwas herunter, doch den Hochzeitsgästen schienen die Speisen vorzüglich zu schmecken.
    Der Abend war schon nahe, als Christian plötzlich ihre Hand ergriff und mit vom Wein glasigen Augen in ihr Gesicht schaute. Sein Blick war wie bereits den ganzen Tag über freundlich, doch jetzt mischte sich noch etwas anderes in seine Miene.
    Ava stutzte, dann kam es über sie – die Hochzeitsnacht! Wie hatte sie das bis jetzt zu verdrängen vermocht?
    »Wenn es Euch recht ist, Gemahlin, würde ich Euch jetzt gern nach oben geleiten.« Er flüsterte es mehr, als dass er es laut sagte.
    In Ava krampfte sich alles zusammen. Nein! Es war ihr nicht recht, hallte es geradezu in ihrem Kopf. Sie wollte die Ehe noch nicht vollziehen. Sie war nicht bereit dafür, doch was blieb ihr schon für eine Wahl? Unvermittelt kamen ihr die Worte Odas in den Sinn. Sie hatte sie angewiesen, jetzt stark zu sein, und ihre Freundin hatte recht! Sie selbst trug Schuld an dem, was ihr gerade widerfuhr. Wäre sie in Godekes Armen nicht schwach geworden, würde sie jetzt nicht hier sitzen. Sie sollte ihr Schicksal annehmen. Und so hob sie stolz den Blick, schaute Christian an und nickte.
    Die Hochzeitsgesellschaft verhielt sich gesittet, wünschte beiden gutes Gelingen, verzichtete jedoch auf die sonst üblichen derben Scherze.
    Ava und Christian verließen die Stube – hinter ihnen auch Hannah und Marie, die von ihrem Herrn ein kaum sichtbares Zeichen erhalten hatten. Zu viert gingen sie hinauf in die Schlafkammer, die ab heute die der Eheleute sein würde. Oben angekommen, schloss Marie hinter ihnen die Tür.
    Christian setzte sich aufs Bett und ließ Ava in der Mitte des Raums zurück. Er öffnete die hölzernen Läden nicht, sodass das Licht in der großzügigen und durch ein Kohlebecken vorgeheizten Kammer spärlich war. Nach einer Weile des Schweigens befahl er: »Helft meiner Gemahlin beim Entkleiden!«
    Ava schaute zu den Mägden, die sogleich auf sie zukamen, und wich zurück. Die Situation überforderte sie. »Wenn Ihr erlaubt, mein Gemahl, würde ich das gerne selbst tun!«
    »Nein, ich wünsche es so!«, war seine schlichte Antwort. Sein Ton war weder boshaft noch laut, doch er ließ auch keinen Widerspruch zu.
    Hannah und Marie taten umgehend, was ihr Herr befahl. Sie lösten den Gürtel, nahmen Ava das Schapel vom Kopf und danach den Schleier. Dann zogen sie ihr das Kleid aus.
    Als die Mägde gerade Hand an Avas Untergewand legen wollten, wich diese abermals zurück. »Bitte, ich würde jetzt gern mit Euch allein sein.«
    Christian stand auf und ging auf Ava zu. Er berührte ihr Gesicht, strich mit den Fingerkuppen über ihre Wange. »Die Mägde werden bleiben, um zu bezeugen, dass die Ehe vollzogen wurde. Schließlich seid Ihr keine Jungfrau mehr, und es wird kein Blut auf dem Laken geben, welches beweisen könnte, dass wir vor Gott verbundene Eheleute sind. Und nun fügt Euch bitte meinem Wort.« Immer noch blieb seine Stimme gleichbleibend ruhig, doch das täuschte nicht darüber hinweg, dass er ein wenig genoss, so viel Macht über sie zu haben.
    Ava war wie erstarrt. Niemals hätte sie damit gerechnet, die Ehe unter Zeugen vollziehen zu müssen. Sie schämte sich ganz fürchterlich!
    Christian richtete das Wort jetzt an Hannah, deren Gesicht bereits vor Neid glühte. Er wusste, dass sie in ihn verliebt war, doch hatte dieses törichte Weib wirklich glauben können, dass sie und er je eine gemeinsame Zukunft verbinden konnte? »Zieh meiner Gemahlin das Untergewand aus, Hannah.«
    Die Magd nahm den hassverzerrten Blick nicht von ihrem Herrn. Mit extra groben Bewegungen riss sie Ava das feine Untergewand vom Körper und schleuderte es zu

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