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Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joël Tan
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vergessen, was Erzbischof Giselbert von Brunkhorst entschieden hat! Die eitlen Herren sind doch bloß …«
    »Jetzt ist es genug, Ehler! Mäßige deine Zunge! Was ist nur in dich gefahren, dass so viel Hass aus dir spricht?«
    Der junge Domherr hielt inne und sah seinen Mentor an.
    Johannes von Hamme schaute ihm ebenso in die Augen, dann senkte er mit erhobenen Brauen den Blick, lehnte sich zurück und legte die Fingerspitzen aneinander. »Ich glaube, du vergisst, dass die Schuljungenkriege schon lange vorüber sind. Mein Eindruck bestätigt sich immer wieder: Du bist im Herzen noch immer ein Nikolait. Vergiss diese alte Feindschaft. Sie tut dir nicht gut!«
    Ehlers Blick war wie versteinert. Seine Wut hatte ihn noch immer fest im Griff. Ja, er war ein Nikolait – durch und durch –, und er würde seiner Sache treu bleiben, im Gegensatz zum Magister. Immer wieder hatte Ehler in der Vergangenheit bemerkt, dass der Scholastikus mit den Jahren gar nicht mehr so sehr darauf bedacht war, Vorteile für die Nikolaischule zu erwirken. Da ihm aber das Führen der Bücher überlassen worden war, war es für ihn in Ordnung, konnte er doch so dafür sorgen, dass die Schule bekam, was ihr zustand. Allmählich aber schien seinem Mentor zu missfallen, was er tat. Er stand Ehler im Weg.
    »Wann warst du das letzte Mal bei deiner Familie?«
    »Ich … weiß nicht genau …«, sagte Ehler, dem allein der Gedanke an seine Mutter und ihren Gemahl erschaudern ließ.
    »Mir scheint, du musst mal raus aus den Gemäuern des Doms. Vergnüge dich für einen Tag lang und lass die Arbeit ruhen. Am besten jetzt gleich.«
    »Das geht nicht! Ich bin … noch nicht fertig mit … meinen Arbeiten«, log er ungeschickt. Er wollte nicht zu seiner Familie. Dort war er tatsächlich schon eine Ewigkeit nicht mehr gewesen, und er verspürte auch kein Verlangen danach. Dieses Leben schien für ihn weiter weg als das weiteste aller Pilgerziele. Warum sollte er zurück?
    »Deine Arbeit hat auch Zeit bis morgen. Du gehst. Ich verlange es, und schließlich willst du dich meinem Wort doch nicht widersetzen, oder?«
    »Nein«, war seine knappe Antwort.
    »Gut, dann genieße die Zeit fern der Arbeit. Und wehe dir, mir kommt zu Ohren, dass du nicht bei deiner Familie warst. Jetzt geh!«
    Wenig später stand Ehler auf der Straße. Er kam sich vor wie ein Landstreicher, der nicht wusste, was er als Nächstes tun sollte. Der Gedanke, einfach bei seiner Mutter und Christian Godonis an die Tür zu klopfen und um Einlass zu bitten, kam ihm einfach zu absonderlich vor. Weder er noch sein Stiefvater würden sich über eine solche Situation freuen. Einzig seine Mutter, die Hure, wäre wohl froh. Doch was blieb ihm schon anderes übrig? Der Scholastikus war deutlich in seinen Worten gewesen. Er wollte ihn nicht verärgern. So machte er sich widerstrebend auf den Weg. Bis zu seinem Ziel im Nikolai-Kirchspiel durchquerte er die halbe Stadt, dann tauchte es vor ihm auf. Nur zögernd näherte er sich dem Eingang des großzügigen Kaufmannshauses. Als seine Hand an das Holz mit den schmiedeeisernen Aufhängungen klopfte, fühlte es sich an, als wäre sie nicht die seine.
    Die Tür öffnete sich, und eine Frau blickte ihn an. Doch war es nicht seine Mutter – zum Glück! Sie allein anzutreffen, erschien Ehler noch viel schlimmer, als in Gesellschaft. Es war die Magd Hannah, die ihm damals von der Liebelei seiner Mutter mit Godeke berichtet hatte. Wie immer, wenn er die hübsche Dienerin sah, geriet sein Blut ungehörigerweise kurz in Wallung. Ehler hasste sich dafür.
    »Guten Tag, Domherr«, sagte Hannah sichtlich erstaunt darüber, wer vor der Tür stand. Der strenge Gottesmann war eine Ewigkeit nicht mehr hier gewesen – und sie wusste ja auch warum.
    »Ist meine sündige Mutter oder ihr Gemahl zu sprechen?«
    »Sie sind beide oben in der Stube, aber sie sind nicht allein. Soll ich Euch hinführen?«
    Kurz überlegte er, ob Hannah sein Kommen ankündigen sollte, dann entschied er sich jedoch dagegen. »Nein, ich gehe allein hinauf. Du kannst gehen«, ließ er sie wissen, worauf Hannah knickste und verschwand. Ehler hatte wahrlich nicht vor, sich anzuschleichen. Nein, er wollte bloß kein Aufhebens um sein Kommen machen, und lange bleiben wollte er schon gar nicht! So ging er die Stiegen hinauf bis zu jener Tür, hinter der sich seine Familie befand. Er hörte Geklapper und mehrere Stimmen; die seiner Mutter erkannte er sofort. Dann Godekes.
    Ehler hielt kurz inne und

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