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Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joël Tan
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liegende Straße einbog. Dann verschwand er in einem Haus mit rot-weißen gestreiften Läden – einer Schneiderei.
    Das Gedränge in dieser Straße war groß, sodass der Beobachter redlich Mühe hatte, den Eingang zu überwachen. Währenddessen hatte er Zeit genug, sich umzusehen, und entdeckte eine Häusernische. Der geeignete Platz! Zu seinem Verdruss musste er eine halbe Ewigkeit warten, dann endlich kam der Mann, auf den er wartete, wieder heraus. Nun ging alles ganz schnell.
    Ein Griff nach dem priesterlichen Gewand des Mannes reichte aus, um ihn zwischen die Häuser zu ziehen. Sofort setzte er ihm ein Messer an die Kehle.
    »Still! Kein Wort, Johannes! Ich bin es, Kuno.« Erst als er sah, dass der einstige Taschendieb aus Münster ihn erkannte und nicht schreien würde, nahm er die Klinge herunter.
    »Großer Gott im Himmel, wäre es nicht ein bisschen weniger schmerzlich gegangen«, fragte Johannes von Holdenstede, der seinen echten Namen seit Jahren nicht vernommen hatte, und griff sich an die Kehle, wo seine Haut leicht blutete.
    »Tut mir leid«, entschuldigte sich Kuno halbherzig.
    »Schon gut. Meine Nachricht hat Plön also erreicht?«
    »Ja, Graf Gerhard ist außer sich. Wir sollen das Mädchen so schnell wie möglich einfangen und zu seinen Besitzungen bringen.«
    Johannes bekam wieder dieses seltsame Gefühl im Bauch. Doch abermals schob er es von sich, ohne es zu ergründen.
    »Sag schon, wo ist das Weib?«
    »Sie … ist …«, Johannes brach der Schweiß aus. Er wagte gar nicht erst, Kuno zu fragen, was genau mit Tybbe geschehen sollte, wenn sie erst in den Händen der gräflichen Gefolgsmänner war. Eines war aber unmissverständlich: Ihr Schicksal lag nun in seiner Hand.
    »Was ist mit dir, Mann? Ist deine Zunge zwischen die Buxtehuder Mühlräder gekommen?«, lachte Kuno ihn aus.
    Johannes zwang sich zur Ordnung. Was war nur mit ihm los? Fast schon ärgerlich schüttelte er den Kopf, um seine Gedanken zu befreien, und sich wieder auf seine Aufgabe zu besinnen. Dann gab er Antwort. »Sie ist irgendwo in der Stadt. Ich kann dir nicht sagen wo. Wir treffen uns erst zur Mittagsstunde wieder in der Herberge.«
    »Verdammt«, fluchte Kuno. »Warum hast du sie aus den Augen gelassen?«
    »Nun … ich hatte keine Wahl«, begründete Johannes sein Verhalten schlicht und verzichtete auf die Erklärung mit dem Gewandschneider. »Was schlägst du jetzt vor?«
    »Lass mich nachdenken«, forderte er in sich gekehrt und biss sich versonnen auf die Lippe. Kuno begann, vor Johannes auf und ab zu gehen. Irgendwann blieb er stehen und teilte seine Gedanken mit. »Uns bleibt nur eine Möglichkeit: Wir müssen sie ohne viel Aufsehen vor die Stadt bringen – schließlich hat unser Herr hier viele Feinde, und die Ritter Graf Gerhards können uns nicht helfen.«
    Johannes erschrak. »Was meinst du damit?«
    In einem gleichgültigen Ton erwiderte Kuno: »Marquardus und Ulrich, sie warten vor den Toren. Ihre Anwesenheit in der Stadt Johanns II. könnte Aufmerksamkeit erregen. Deshalb bin ich allein gekommen.«
    »Das war äußerst klug von dir«, sagte Johannes, dem das Herz jetzt bis zum Hals pochte.
    Kuno schien noch immer in Gedanken. »Nun gut. Solange sie hier irgendwo in den Gassen verschwunden ist, kann ich nicht viel tun. Nach all den Jahren würde ich sie wohl kaum mehr erkennen.«
    »Wohl wahr«, bejahte Johannes jetzt mit belegter Stimme. Ganz plötzlich hatte er all jene Bilder der letzten Tage vor Augen. Tybbe, wie sie Feuer machte, lachte, schlief oder sich ihr Wolltuch um die Schultern legte. Nein, er konnte nicht zulassen, dass Marquardus und Ulrich sie bekamen! Scheinbar ohne sein Zutun, bewegten sich seine Lippen. »Ich schlage vor, dass du die Stadt verlässt und bis zur Mittagsstunde mit den Rittern dort wartest. Ich gehe sie suchen. Vielleicht finde ich sie vorher. Und dann treibe ich sie euch direkt in die Arme.«
    Tybbe war zufrieden mit sich. Ihre Überraschung war ihr gelungen. Bentz hatte sich sichtlich gefreut. Doch das war nicht der einzige Grund für ihre Zufriedenheit. Gleich nachdem er die Herberge Zum wilden Ross verlassen hatte, war sie in den Teil der Stadt gegangen, den sie bisher bei ihrer Suche nach Sibot vernachlässigt hatten. Obwohl sie sich selbst versucht hatte einzureden, dass ihre Idee, den Spielmann zu finden, töricht gewesen war, konnte sie nicht davon ablassen. Mit ihrem Geschenk an Bentz hatte sie sich ein wenig Zeit allein verschafft. Zeit, in der sie sich noch ein

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