Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)
etwas gänzlich Unbenutztes zu kaufen. Dieser Gedanke stimmte ihn nun doch fröhlich, zumal er sowieso nichts anderes zu tun hatte, außer zu warten. Warum eigentlich nicht? Langsam verschwand jede Scham.
Bentz schaute sich um und hielt einen Mann an, der einen Sack mit unbehandelter Wolle auf dem Rücken trug. »Sagt mir, wo finde ich einen Schneider?«
»Geht entweder in die Pfaffenstraße oder gleich nach links in die Holstenstraße. Wenn Ihr Euch dann wieder links haltet, kommt Ihr auf ein großes Haus mit rot-weiß gestreiften Läden zu. Dort findet Ihr, was Ihr sucht.«
»Habt Dank!« Beschwingt lief er die Straßen hinab, und nur ein paar Schritte später öffnete er die Tür der Gewandschneiderei. Im Inneren des Fachwerkhauses roch es nach dem Holz des Gebälks und nach der kalten Asche der Feuerstelle, die sich weit ab der Tuche befand. Vor allem aber roch es nach Stoffen, die schon lange hier lagerten. Rollen über Rollen türmten sich in den Ecken. Es brauchte einen Moment, bis Bentz begriff, dass sie nicht nach Farben sondern nach Material geordnet waren. Die edelsten und weichsten Stoffe waren in einer Ecke, grobe und ungefärbte Leinen sowie Wolle in einer anderen. Er war überfordert. Zum Glück war er nicht allein.
»Kann ich Euch helfen, Herr?«, ertönte es plötzlich aus einer dunklen Ecke, aus der ein kleiner, dicker Mann hervortrat.
»Ja, das könnt Ihr in der Tat. Ich möchte mir eine Cotte machen lassen.«
»Da seid Ihr bei mir in guten Händen, Herr. Was für einen Stoff wünscht Ihr? Wolle oder Leinen? Oder vielleicht sogar etwas Edleres, was Eurer stattlichen Erscheinung noch mehr schmeicheln würde?« Der Gewandschneider war es gewohnt, seinen Kunden Höflichkeiten zukommen zu lassen, hoffte er doch so auf größeren Gewinn. Doch Bentz ließ sich nicht beirren.
»Ich denke, Leinen ist völlig ausreichend.«
»Wie Ihr wünscht. Und soll sie bis zu den Knien reichen oder doch etwas länger sein, wie es bei den Bürgern mittlerweile beliebt ist?«
Diese Frage brachte Bentz nun doch zum Nachdenken. Zwar war er bloß ein einfacher Mann, und einfache Männer wie Bauern und Knechte trugen kurze Cotten, die sie nicht bei der Arbeit behinderten, doch gab es natürlich auch die Möglichkeit, sich eine längere Cotte mit hohen Schlitzen schneidern zu lassen und deren Enden dann, wenn es sein musste, am Gürtel zu raffen. »Ich denke, sie darf ruhig etwas länger sein«, entschied er. »Zeigt mir euer Leinen. Ich möchte eine Farbe wählen.«
»Nun, da kann ich euch ein tiefes Blau anbieten. Das wird derzeit sehr gerne gekauft – vor allem, weil dieser Leinenstoff von besonders guter und weicher Beschaffenheit ist.«
Der Gewandschneider sprach die Wahrheit. Es fühlte sich wunderbar an, wie Bentz feststellte. »Damit bin ich zufrieden. Wann könnt Ihr damit fertig sein?«
»Gute Handwerksarbeit braucht seine Zeit, werter Herr. Ich werde wohl vier oder fünf Tage für Eure Cotte brauchen.«
»Vier oder fünf Tage? Aber so viel Zeit habe ich nicht.«
Der Gewandschneider bemerkte den zerknirschten Gesichtsausdruck seines Kunden und hatte ein Nachsehen. »Nun, ich könnte es auch früher schaffen, aber das wird Euch einiges kosten.«
»Wie schnell seid Ihr hierfür?«, fragte Bentz und hielt die Kette in die Höhe.
Der Gewandschneider bekam ein Blitzen in den Augen. »Ihr werdet Euch wundern, wie flink ich nähen kann, werter Herr«, versicherte er. »Kommt morgen wieder.«
»Das klingt wunderbar. Ich weiß Euren Einsatz zu schätzen. Habt Dank, guter Mann!«, sagte Bentz, die Hand auf dem Herzen, und verließ die Schneiderei mit einem Grinsen. So fühlte man sich also als reicher Kaufmann, ging es ihm durch den Kopf. Jener Gedanke wurde von einem bitteren Beigeschmack begleitet. Er hätte ein solches Leben haben können – vor vielen Jahren! Aber er selbst hatte sich damals jede Möglichkeit darauf genommen, als er die falsche Entscheidung traf.
Urplötzlich ging ein Ruck durch seinen Körper. Fast brachte er ihn zu Fall. Bentz wurde gepackt und unvermittelt zwischen zwei Häuser gezerrt. Alles ging so schnell, dass ihm keine Zeit für einen Laut des Entsetzens blieb. Im nächsten Moment fand er sich rücklings an eine Wand gepresst und mit einem Messer an der Kehle wieder, dessen Klinge seine Haut bereits leicht einritzte.
Er war ihm über die Flämische Straße bis zum Marktplatz gefolgt. Hier hielt der Mann, den er beobachtete, jemanden an, auf dessen Geheiß er in eine links
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