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Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joël Tan
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Wachmann davor an. »He du, kannst du mir vielleicht helfen?«
    Argwöhnisch blickte der Wachmann Tybbe an. »Wie soll ich dir denn helfen?«
    »Ich suche nach jemandem. Sie verdingt sich hier auf der Burg als Magd.«
    »Und nun soll ich dir etwa sagen, welche der unzähligen Mägde du meinst?«
    »Nein, natürlich nicht. Lass mich ein, und ich finde sie selbst.«
    Der Wachmann lachte auf. »Verschwinde, Mädchen. Was meinst du, was ich für einen Ärger bekomme, wenn ich hier jeden durchs Tor lasse.«
    »Aber ich will ja gar nicht bleiben. Auch betteln will ich nicht. Ich muss nur diese Magd finden, und dann gehe ich wieder. Bitte!«
    »Hau ab! Ich meine es ernst.«
    Tybbe war der Verzweiflung nahe. Was sollte sie denn nun tun? All ihre Hoffnungen, die sie in den letzten Tagen gehegt hatte, schienen sich plötzlich in nichts aufzulösen. Gerade eben hatte sie ihren einzigen Freund verloren, und nun stand sie hier, allein, und niemand wollte ihr helfen. Eigentlich war sie alles andere als weinerlich, doch abermals konnte sie die Tränen nicht mehr zurückhalten. Sie lehnte sich an die Mauer, schlug die Hände vors Gesicht und schluchzte auf.
    Der Wachmann sah Tybbe mit hochgezogenen Augenbrauen an. Er wollte sie barsch verscheuchen, doch aus irgendeinem Grund konnte er nicht. Nachdem er ihr eine Weile lang zugeschaut hatte, rief er aus: »Mann … hör schon auf zu heulen. Das hält ja keiner aus.« Das Mädchen ließ sich kaum beruhigen. »He … Verstehst du nicht? Hör auf zu flennen!«
    Stotternd erwiderte Tybbe, »J… ja, ich h… höre ja schon a… auf.« Es brauchte tatsächlich all ihren Willen, um sich wieder zu beruhigen. Da winkte der Wachmann sie zu sich.
    »Was weißt du denn über die Magd, die du suchst? Ihren Namen vielleicht?«
    Tybbe schüttelte den Kopf.
    »Herr im Himmel, wieso suchst du ein Weib, das du nicht einmal kennst? Wie sieht sie denn aus?«
    »Sie ist ungefähr so groß wie ich, und sie hat grüne Augen. Strahlend grün, wie frisches Gras.«
    Nun erhellte sich der Blick des Wachmanns. »Christin! Es gibt nur eine Magd mit solchen Augen.«
    »Du kennst sie? Wirklich?«
    »Bleib hier stehen, ja? Ich werde gehen und nach ihr schicken. Ausnahmsweise!«
    »Hab tausend Dank! Du hast ja keine Ahnung, was für einen Dienst du mir erweist …«
    Offenbar hatte der Mann genau gewusst, wen er fragen musste, denn nach kurzer Zeit hörte Tybbe einen Pfiff. Er galt ihr, und er kam aus des Wachmanns Mund, der sie zu sich winkte, während er über den Burghof lief – in Begleitung der Magd. Es war tatsächlich jene Magd mit den grünen Augen!
    Tybbes Herz machte einen Sprung. Schnellen Schrittes lief sie über den Burghof. Sie wollte gerade zu einer Erklärung ansetzen, da griff die Magd Christin auch schon nach ihrem Arm. Ohne weitere Worte wurde Tybbe von ihr über den Hof gezerrt, bis sie in der Mitte standen.
    Dann drehte Christin sich zu ihr um und fragte fordernd: »Erkennst du hier irgendwas?«
    Erschrocken blickte Tybbe die Magd an. »Was meinst du?«
    »Wie alt bist du?«, fragte die Grünäugige weiter forsch nach.
    »Vierzehn.«
    »Das passt«, murmelte die Magd vor sich hin. Dann griff sie nach Tybbes Schultern und sagte: »Sieh mich an! Ich will dein Gesicht betrachten.«
    Tybbe gehorchte und versank fast in diesen grünen Augen.
    Christin hingegen blickte aufmerksam und innig zurück. Und zwar in zwei bernsteinfarbende Augen. Mit vorsichtigen Fingern fuhr sie Tybbe die Stirn hinauf bis unter die Haube. Dann zog sie eine Haarsträhne heraus, die goldbraun, wie eine frische Kastanie, im Sonnenlicht glänzte. »Du bist es!«
    »Ich bin wer?«
    »Ich wusste es! Du bist das Mädchen, das vor acht Jahren hier gelebt hat. Nicht lang, nur einige Monate, doch ich erkenne dich trotzdem. Ich hatte dich schon erkannt, als wir uns das erste Mal auf der Straße begegnet sind!«
    »Was? Ich … soll hier gelebt haben?«
    »Du warst noch sehr klein, und die Stadt hat sich sehr verändert – ebenso wie die Burg. Aber schau dich doch mal um. Hier …«, sagte Christin voller Eifer und zog Tybbe mit sich bis zu einem bestimmten Teil des Burghofs. »… hier bist du manchmal auf einem Pferd im Kreis geritten. Erinnerst du dich denn nicht mehr?«
    Tybbes Herz setzte einen Schlag aus, als sie die freie Fläche vor dem Palas zu Gesicht bekam. Sie musste sich an einer Mauer festhalten, denn ihre Knie drohten einzuknicken. Es war nicht so, als ob sie sich ganz plötzlich an alles erinnerte, vielmehr war es ein

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