Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)
können sie mir helfen.«
»Meine Herrschaft ist nicht da. Sie sind auf dem Weg nach Hamburg zum Weihefest«, sagte Christin.
»Verdammt, das kann doch nicht wahr sein«, stieß Johannes hervor und hielt sich die Stirn. Er rang um Fassung. Sein einziger Plan war somit gescheitert.
»Wobei sollten sie dir helfen?«
»Freyja ist heute verschwunden, und ich weiß nicht wohin. Aber ich habe Grund zur Annahme, dass sie in großer Gefahr ist. Wenn ich Graf Johann die Wahrheit über die Tochter seines einstigen Spielmanns berichten könnte, würde er mir vielleicht helfen, sie zu finden. Möglicherweise würde er sie sogar damit retten. Aber das ist jetzt nicht mehr möglich.«
»Ich kann dir sagen, wohin sie gegangen ist.«
Johannes sprang auf. »Was sagst du da? Du weißt, wo sie ist?«
»Ja. Als sie heute zur Burg kam, war sie gänzlich unwissend. Sie hatte keine Ahnung, dass sie jemals hier gelebt hatte, und wusste rein gar nichts über ihre Familie – mit Ausnahme von ein paar Lügen. Ich erzählte ihr dann, was sich damals zugetragen hatte, und riet ihr, nach Hamburg zu ziehen, um ihre Familie zu suchen.«
»Sie ist auf dem Weg nach Hamburg? Ganz allein?«
»Ja, davon gehe ich aus.«
»O großer Gott. Hoffentlich ist sie in Sicherheit.«
Christin erkannte, dass Johannes’ Sorge um Freyja echt war. Sie hatte unzählige Fragen, doch sie hielt sie zurück. Zunächst wollte sie bloß eines wissen: »Hast du etwas mit ihrem damaligen Verschwinden zu tun?«
Johannes senkte den Blick. Er konnte sie nicht anschauen, während er die Wahrheit sagte. »Ja, das habe ich.«
»Und nun willst du ihr helfen?«
»Ja.«
»Bist du in sie verliebt?«
»Nein! Um Gottes Willen, nein!«
»Aber warum willst du ihr dann helfen?«
»Ich bin ihr Onkel!«
»Ihr was ?«
»Ein schlechter Onkel, zugegeben. Aber ich will es wiedergutmachen.«
»Dann solltest auch du dich auf den Weg nach Hamburg begeben und zwar schnell. Ich wünsche dir viel Glück.«
»Und ich danke dir, Christin. Von ganzem Herzen!«
Johannes blickte nicht zurück. Nichts konnte ihn länger hier in Kiel halten. Sein gesamtes Streben war darauf aus, Freyja zu finden, bevor Kuno und die Ritter sie bekamen. Schnell ließ er die Dänische Straße hinter sich, und betrat somit den einzigen Landzugang der Stadt. Hier zog er sich seine Kapuze über den Kopf, um nicht gleich von Kuno erkannt zu werden, der hier irgendwo auf ihn wartete. Überall waren Menschen, die ein- und ausgingen. Johannes schaute sich ihre Gesichter ganz genau an, doch Freyja war nirgendwo zu entdecken. Während er sie suchte, hallte ihm immer wieder die eine Frage im Kopf: Warum war sie einfach ohne ihn gegangen? Bald schon wurde ihm klar, dass er keine Antwort darauf erhalten würde – jedenfalls nicht vom Grübeln allein.
Wie erwartet entdeckte er Kuno und die Ritter kurz hinter der Stadt am Wegesrand. Sie warteten – auf ihren Pferden sitzend – und tasteten die Menschenmenge mit ihren Blicken ab. Ein gutes Zeichen! Nun konnte Johannes sich sicher sein, dass sie Freyja bisher nicht hatten finden können. Offenbar war es den Häschern Graf Gerhards nicht möglich gewesen, sie nach all den Jahren zu erkennen. Er wandte sein Gesicht zur anderen Seite und hoffte, dass sie ihn nicht anhielten. Sein Herz setzte einen Schlag lang aus, als er auf ihrer Höhe war, nur um hinterher gefühlt doppelt so schnell zu schlagen.
Je weiter er sich von der Stadt entfernte, umso leerer wurden die Straßen und umso aufmerksamer sein Blick nach vorne. Er war sich sicher, dass Freyja diesen Weg genommen hatte und sich nicht allein auf Abwegen herumschlug. Viel zu groß war die Gefahr, in unwegsames Gebiet zu gelangen, das einen fraß und nicht wieder herausgab.
Es dauerte nicht lang, da machte sich Erschöpfung in ihm breit. Sein Atem ging schnell. Er musste sich beeilen, wenn er den Abstand zwischen sich und Freyja aufholen wollte, doch ganz gleich, wie viele Frauen hinter den unzähligen Wegbiegungen vor seinen Augen erschienen, seine Nichte war nicht dabei. Vielleicht hatte sie sich einer größeren Gruppe angeschlossen oder war gar nicht mehr zu Fuß unterwegs, sondern hatte mit Glück auf einem Ochsenwagen Platz gefunden. In diesem Fall wäre jede Hoffnung, sie einzuholen, natürlich umsonst.
Erst als die Sonne schon so tief stand, dass sie die Spitzen der Bäume um ihn herum bereits zu berühren schien, tauchte Freyja plötzlich vor ihm auf. Er erkannte sie sofort. Ihre Bewegungen waren
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