Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)
unverkennbar für ihn. Erleichtert stieß Johannes ihren Namen aus – jedoch im Flüsterton, denn er wollte vermeiden, dass sie vor ihm davonlief. Auch wenn er bislang noch keine Erklärung dafür hatte, musste er davon ausgehen, dass sie nicht sonderlich gut auf ihn zu sprechen war. Schließlich hatte sie ohne ihn die Stadt verlassen. Darum hielt er sich weiter im Verborgenen und nahm sich vor zu warten, bis sie endlich allein auf den Straßen waren.
Es war bereits Abend, als es endlich soweit war. Nach einer Kurve konnte Johannes ein Stückweit den Weg entlangschauen, der jetzt schnurgerade durch den dichten Wald verlief. Hier wollte er es wagen. »Freyja!«
Die Angesprochene blieb augenblicklich stehen. Dann drehte sie sich um und schaute Johannes an. Ihr Blick war zunächst von Erstaunen gezeichnet, dann aber wurde er zornig. »Du kennst meinen richtigen Namen?«
Johannes hätte sich selbst einen Tritt verpassen können. Ohne nachzudenken, war es aus ihm herausgeplatzt.
Freyja kam langsam auf ihn zu; mit wütend funkelnden Augen, starrte sie in sein Gesicht. »Die ganze Zeit über wusstest du meinen Namen? Was weißt du noch und hast es vor mir verheimlicht?«
Johannes sah die unermessliche Enttäuschung in ihrem Blick und entschied, dass die Zeit der Lügen vorbei war. »Ich weiß alles! Alles, außer woher du es erfahren hast.«
In diesem Augenblick holte Freyja aus und verpasste ihm eine schallende Ohrfeige, die sein Gesicht einen Moment zur Seite fahren ließ. »Ich habe dir vertraut …!«
»Ich weiß.«
»Wer bist du? Und woher kennst du den Mann, mit dem du in aller Heimlichkeit gesprochen hast?«
»Ich kenne ihn durch …« Zu einer weiteren Unterhaltung sollte es nicht mehr kommen. Das Geräusch galoppierender Pferde ließ Johannes hinter sich schauen. Er dachte nicht lang nach, ergriff ihre Hand und sagte: »Schnell! In den Wald, Freyja!« Sein Versuch, sie mit sich zu ziehen, schlug fehl.
Sie riss sich los und blieb stehen, wo sie war. »Mit dir gehe ich nie wieder irgendwo hin«, stieß sie aus, drehte sich um und rannte den Weg, den sie gekommen war, zurück. Sie hoffte, auf andere Reisende zu treffen, die ihr helfen würden, doch sie rannte in ihr Verderben.
»Nein, Freyja! Bleib hier. Du verstehst nicht …«
In diesem Augenblick kamen die Reiter um die Ecke. »Das ist sie!«, ertönte Marquardus’ Stimme, der Johannes zusammen mit einem Mädchen auf dem Weg sah. Sie musste die Gesuchte sein.
Jetzt erst erkannte auch Freyja die Gefahr, zu spät.
Bloß wenige Galoppsprünge waren nötig, um die junge Frau zu erreichen. Marquardus zügelte seinen Hengst mit einer Hand. Mit der anderen packte er das Mädchen und hievte sie vor sich aufs Pferd. »Los, wir verschwinden«, rief er den anderen beiden Männern zu.
»Was ist mit Johannes?«, fragte Kuno wütend, der den Mann gerade noch im Wald hatte verschwinden sehen.
»Der ist unwichtig. Wir haben, was wir wollten«, entschied der Ritter und galoppierte wieder los. Ulrich folgte ihm auf dem Fuße.
Kuno jedoch hielt sein tänzelndes Pferd noch einen Moment lang zurück. Rot vor Zorn über den Verrat Johannes’ blickte er zwischen die Bäume. Dieser Hundsfott hatte versucht, ihn auszuspielen, doch es war ihm nicht gelungen.
Johannes schaute zwischen dem Geäst hindurch. Von hier aus musste er ansehen, wie Freyja entführt wurde. Dann hörte er die laute Stimme Kunos zu ihm sprechen.
»Das war es dann wohl für dich, Johannes. Du bist und bleibst ein elender Beutelschneider – so, wie damals in Münster, wo ich dich kennenlernte. All die Jahre haben nichts daran geändert. Du wirst ebenso einsam und im Dreck der Straßen verrecken, wie du gelebt hast. Wir sehen uns in der Hölle!« Dann gab er seinem Pferd die Hacken und stob den Rittern und Freyja hinterher.
Als sie fort waren, trat Johannes aus seinem Versteck. Der Weg war leer – in beide Richtungen. Das Einzige, was geblieben war, waren frische Hufspuren im Sand des Weges und ein buntes Tuch, welches Freyja von den Schultern geglitten war.
7
Die Stimmung in der Kurie über die letzten Tage war kalt gewesen – so kalt wie noch nie zuvor. Johann wollte mit Thymmo reden, doch er fand keinen rechten Anfang. Gestern hatte er ihn den ganzen Tag nicht gesehen, und nur der Himmel wusste, ob er gerade in seinem Bett lag oder vielleicht sogar das Skriptorium im Mariendom seiner Bettstatt als Nachtlager vorzog. Natürlich hätte er ihn einfach zwingen können, sich in die Schreibstube
Weitere Kostenlose Bücher