Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)
meinte sie, Margaretas Schmerz von damals zu fühlen. Nicht dass sie nicht vorher schon einmal über diese Ereignisse gesprochen hätte, doch auch jetzt, Wochen nach ihrer glücklichen Hochzeit, schien die schwere Vergangenheit Margaretas Blick kurzweilig zu trüben. Ganz plötzlich hatte Runa das Bedürfnis, ihre Schwester fest in die Arme zu nehmen, und gab dem nach.
»Huch, wofür war das denn?«, fragte diese erstaunt.
»Das war, um deine traurigen Gedanken zu vertreiben. Es gibt keinen Hereward mehr. Du bist nun die Braut eines Ritters.«
»Wie gut sich das anhört!«
»Ja, das finde ich auch. Aber eine Sache wüsste ich gern.«
»Nur zu«, ermunterte Margareta sie.
»Warum trägst du es noch immer?« Runa deutete auf das bunte Brusttuch, welches Hereward ihr einstmals aus dem fernen Nowgorod mitgebracht hatte. Heute, da sie die Frau eines anderen war, kam es der Älteren komisch vor, dass Margareta es noch besaß.
Die Jüngere lachte auf. »Das fragst ausgerechnet du? Weißt du denn nicht mehr, was du mir damals gesagt hast, Runa?« Sie ließ ihre Schwester gar nicht zu Wort kommen, sondern begann sofort, deren Worte zu wiederholen: »Ich solle es behalten, weil es ein Geschenk von einem Mann sei, der mich einst wollte und mich dennoch niemals bekommen werde, weil ich viel zu gut für ihn sei.«
Runas Miene klarte auf. »Stimmt! Das weißt du noch?«
»Aber natürlich, diese Worte haben mich immer wieder aufgebaut. Offenbar ist dir das gar nicht bewusst gewesen. Doch Eccard sollte besser nichts von alldem wissen. Es würde ihm nicht gefallen.«
Wieder blickte Runa auf das Tuch. Es war wirklich außergewöhnlich schön und leuchtete in den verschiedensten Farben von Gelb zu Blau. Mit einem verschmitzten Lächeln trat Runa näher an ihre Schwester heran. »Weißt du, so schön ist es eigentlich gar nicht.«
»Wie meinst du das?«, fragte diese etwas verwirrt.
»Ach, diese vielen Farben, dieses Muster …!« Ohne eine weitere Reaktion abzuwarten, umschloss sie einen Zipfel des Tuchs mit ihren Fingerspitzen und zog langsam daran, bis es Margareta vom Körper glitt. Dann verstand die Schwester.
»Jetzt sehe ich es auch. Es ist das Muster einer alten Vettel. Einer Rittersgemahlin einfach nicht würdig«, stimmte sie gespielt angewidert mit ein.
Die Schwestern lachten.
Dann drehte sich Runa um und schaute auf den Burghof. Viele Menschen waren zu sehen. Die Mägde und Knechte hatten ordentlich zu tun, um die Spuren des Turniers zu beseitigen. Dann erblickte sie Christin. Die grünäugige Magd hatte sie von Anfang an gemocht. »Christin«, rief sie laut.
Das Mädchen drehte sich um und kam sogleich herbeigeeilt. »Was kann ich für Euch tun, Dame Runa?«
»Nichts weiter. Ich möchte nur, dass du nächsten Sonntag in unserer immerkalten Nikolaikirche nicht frierst.« Während sie sprach, legte Runa ihr das Tuch um. »Findest du nicht auch, dass es immer besonders kalt in der Kirche ist? Man kann sich gar nicht warm genug anziehen.«
Das Mädchen war sprachlos. Mit langsamen Bewegungen hielt sie sich das Ende des Tuchs vor ihr Gesicht. »Was … Warum …«, stammelte sie überfordert.
»Nun geh schnell wieder an die Arbeit. Sonst bekommst du womöglich noch Ärger. Und das wollen wir ja nicht.«
Die Magd knickste so tief und so lange, wie sie noch nie geknickst hatte. Dann entfernte sie sich wie befohlen.
Als sie wieder allein waren, stieß Margareta ihrer Schwester leicht in die Seite. »Wenn Hereward das wüsste …«
»… dann würde seine vor Stolz hocherhobene Nase vielleicht endlich mal ein Stückchen sinken, sodass es nicht mehr hineinregnen kann.«
Laut lachend hakte sich Margareta bei ihrer Schwester unter und zog sie langsam Richtung Burgturm. Dabei sagte sie auffordernd: »Komm, lass uns hinauf in die Kemenate gehen. Da kannst du mir deine Handarbeiten zeigen. Außerdem sollten wir die Gräfin nicht warten lassen.«
In diesem ausgelassenen Moment stürmte plötzlich eine Frau aus dem Burgturm. Mit hektischen Bewegungen schaute sie sich um. Dann erblickte sie Runa und raffte die Röcke, um schneller bei ihr zu sein. Es war Freyjas Kinderfrau.
Runa ahnte schon, um was es ging, und ihr Herz krampfte sich zusammen. Die Kinderfrau hatte sie noch nicht ganz erreicht, da rief sie schon forsch: »Sag mir nur wo?«
»In Eurer Kammer. Ich kann sie einfach nicht beruhigen.«
Schon war Runa an ihr vorbei und auf dem Weg in den Palas. Schnellen Schrittes ließ sie die überdachte Freitreppe und
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