Das Vermächtnis des Rings
konnten und Feuer spuckten und deren Panzer so hart war, dass Lanzen und Pfeile ihnen kaum etwas anzuhaben vermochten. Nur die Mutigsten und Geschicktesten überlebten den Kampf mit einem Drachen. Niemals trat ein Kämpfer allein gegen sie an – nur eine ganze Jagdgesellschaft war in der Lage, ein solches Untier zu bezwingen.
Doch es war nicht der Kampf gegen den Drachen von Koadeg, an den Finrael jetzt denken musste. Es war ein viel unbedeutenderes Ereignis, das ihn nicht zur Ruhe kommen ließ, eine nächtliche Begegnung, von der niemand außer ihm etwas wusste:
Sie hatten damals den Wald von Koadeg noch nicht lange betreten, als die Nacht hereingebrochen war. Auf seinen Befehl hin hatten sie ihr Lager auf einer kleinen Lichtung aufgeschlagen, die Platz genug für die Jagdgesellschaft und ihren kleinen Tross bot. Das Abendessen war schnell zubereitet und wurde schweigend eingenommen. Eine merkwürdig gedämpfte Stimmung lag über den Jägern, vielleicht von der Gemütsverfassung ihres Anführers ausgehend, der kaum ein Wort sprach und abwesend vor sich hin starrte. Schließlich wurden zwei Wachen aufgestellt. Sie befanden sich in der Nähe einer Festung, die Rebellennester waren ausnahmslos ausgerottet, der Drache war noch weit, und somit drohte der Jagdgesellschaft keine große Gefahr. Der Rest von Finraels Gefolge begab sich, eingehüllt in Decken und Mäntel und erschöpft von den Anstrengungen des Tages, zur Nachtruhe in die Zelte.
Es war eine mondlose, stockfinstere Nacht. Hie und da riss ein kalter Wind die Wolkendecke auf, heulte klagend in den kahlen Gespensterbäumen und rüttelte machtvoll an den Zelten, die die Jäger rings um das Feuer errichtet hatten.
Alle schliefen tief und fest, nur Finrael warf sich unruhig auf seinem Lager hin und her. Er fand einfach keine Ruhe. Ein Gedanke jagte den anderen, und keiner davon ließ sich fassen. Sein Hals war wie zugeschnürt, und er bekam keine Luft mehr. Es war, als lastete ein Tonnengewicht auf seiner Brust, als wöge der Ring Zentner. Schließlich beschloss Finrael aufzustehen. Er schlüpfte in sein Wams, schnallte das Schwert um, warf sich den schwarzen Umhang über die Schultern und schob die Decke beiseite, die den Eingang des Zeltes bildete.
Das Feuer war bis auf die Glut heruntergebrannt. Einer der Wachtposten zog gerade die Plane von dem mitgebrachten Brennholz, um neue Scheite nachzulegen. Der zweite Mann war nirgendwo zu sehen.
Geräuschlos huschte Finrael hinter sein Zelt und schlug sich in die Büsche. Er wollte keine Erklärungen abgeben, sondern allein sein.
Finrael war ein Kämpfer, nach dem Tod seines Bruders der beste, den die Welt kannte. Er wusste, wie man sich auch in schwierigem Gelände lautlos bewegt, und bald hatte er das Lager weit hinter sich gelassen, ohne dass ihn die beiden Wachtposten bemerkt hätten.
Die Bäume standen weiter auseinander, das Unterholz lichtete sich, und der aufgeweichte lehmige Boden wich nacktem Fels. Augenblicke später trat Finrael ins Freie. Er stand auf einem Felsvorsprung, der eine breite, dunkle, bis fast zum Horizont reichende Ebene überragte. Nur am Geruch und an den Geräuschen war zu erkennen, dass es sich um einen See handelte. Wind peitschte das Wasser und brachte es zum Schäumen. Ein Rauschen lag in der Luft, das sich mit dem Ächzen der Bäume zu einer unheimlichen Melodie vermischte. Die Wolkendecke war an zahlreichen Stellen aufgerissen, ohne dass der Mond oder die Sterne zu sehen gewesen wären.
Finrael zog den Umhang fester um sich und setzte sich auf den nackten Fels. Der Ring hing schwer an seiner Kette. Finraels Blick ging in die eintönige Nacht hinaus, in die Dunkelheit aus verschiedenen Abstufungen von Grau und Schwarz. Alle Formen verschwammen darin, schienen sich aufzulösen und waren nur zu erahnen.
Bin so auch ich?, fragte sich Finrael gequält. Meine Seele ein schwarzer Schatten, ohne Form und Umriss, ein Loch, in dem alles versinkt, das alles in sich aufsaugt und es nie wieder hergibt, Gefühle und Gedanken gleichermaßen?
Nie zuvor hatten ihn derartige Überlegungen geplagt. Finrael der Dunkle hatte immer seine Freude an der Finsternis gefunden, war wie der Wind über die Welt gestrichen und hatte seine Spuren hinterlassen. Das Ächzen und Stöhnen der Menschen war ihm stets Ansporn gewesen. Nun aber plagte es ihn wie das Ächzen der toten Bäume, verfolgte ihn bis in den Schlaf und ließ ihn nicht zur Ruhe kommen.
Nichts schien ihm noch Freude zu bereiten. Wann hatte
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