Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Vermächtnis des Rings

Das Vermächtnis des Rings

Titel: Das Vermächtnis des Rings Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Bauer
Vom Netzwerk:
das Leben zu entfliehen drohte, eine gut verheilte Narbe, bei der nicht einmal mehr zu befürchten stand, dass sie brandig wurde.
    Nun war ich tatsächlich gebannt, denn es hieß doch, jeder Heilzauber der Vampirkönige bedürfe eines Menschenopfers, zur Herstellung von Trunken und Balsamen aber seien sie nicht fähig. Fasziniert beobachtete ich nun das Gegenteil.
    Arrogant hob der Vampir das Kinn und bleckte die Zähne. Zwei lange Augenzähne schimmerten bedrohlich im matten Licht. Ich fasste das Schwert fester.
    »Bevor du mich erschlägst, solltest du etwas versuchen, mein Freund«, sagte der Vampir zähnefletschend und rieb sich mit dem Finger, an dessen Spitze noch Balsam glänzte, über beide Augenlider. »Das hier.« Weiter geschah nichts; der Vampir feixte mich an. Und wieder hatte ich dieses merkwürdige Gefühl… verbarg sich hinter dem Hohn, mit dem er mich Freund nannte, etwas anderes?
    »Trink zuerst davon«, entgegnete ich. Was ließ ich mich auf Verhandlungen ein? Mit einem Streich konnte ich dem Abscheulichen doch den Kopf von den Schultern trennen – oder ihm das Schwert genau an der Stelle in die Brust rammen, die er sich gerade geheilt hatte.
    »Das ist Verschwendung… aber gut.« Höhnisch zog er den Mundwinkel hoch, dann verschloss er die Phiole mit der Fingerbeere, drehte das Gefäß rasch einmal auf den Kopf und wieder zurück, sodass an der Spitze ein kleiner Balsamtropfen haften blieb. Mit ihm benetzte er seine Zunge und schien ihn im Mund zu verstreichen.
    War auch das eine List… eine Täuschung? Das wusste ich nicht zu sagen, doch wie mit eigenem Willen zuckte meine linke Hand vor – als gehörte sie mir gar nicht mehr. Die Finger – meine Finger – nahmen die Phiole in Empfang, und dann stand ich da: das Schwert in der Rechten, das Fläschchen in der anderen Hand. Seine Waffen hatte der Vampir verloren, nicht einmal ein Dolch hing an seinem Gürtel. Die Schließe zeigte einen gehörnten Menschenschädel aus Silber ohne Unterkiefer. Offenbar war mein Gegenüber ein Edler, wenn man das bei Vampiren so sagen konnte.
    Behutsam hob ich die Phiole an die Nase und schnüffelte daran. Obwohl ich nichts riechen konnte, traten mir die Tränen in die Augen, und dann verspürte ich eine innerliche Rührung wie schon seit vielen Jahren nicht mehr; ein Kloß stieg mir in die Kehle. Wie unter Zwang verschloss ich meinerseits die Phiole mit dem Finger und benetzte ihn mit der zähen, kühlen Flüssigkeit. Noch ein Moment des Widerstrebens, dann hob ich ihn vor die Augen.
    »Gib mir vorher das Elixier zurück«, verlangte der Vampir barsch. »Es ist kostbar.«
    Ich schüttelte den Kopf und fuhr mir mit dem balsamfeuchten Finger über die Lider, als wüsste ich nicht mehr, was ich tat, als riete mir keine innere Stimme davon ab.
     
     
    Und der Boden unter meinen Füßen verwandelte sich mitsamt aller herabgefallenen Blätter in Nichts. Ich taumelte und sah gleichzeitig schemenhaft, wie der Vampir vorstürzte. Ich wollte das Schwert heben, doch es entfiel meinen kraftlosen Fingern. Auch die Phiole… Der Vampir fing sie geschickt aus der Luft. Wie im Traum beobachtete ich, wie langsam zwei Tropfen der kostbaren Flüssigkeit herausspritzten, dann hatte er sie gefangen.
    Einen schrecklichen Moment lang sah ich die Welt doppelt; als würde ich mir zwei auf Glas gemalte, fast identische, deckungsgleiche Bilder, vor die Augen halten und sie langsam auseinanderziehen. Mir schwindelte, und ich glaubte, die Glasbilder müssten beim nächsten Atemzug zerspringen. Dann würde die Welt in Dunkelheit fallen.
    Stattdessen fügten sie sich erneut zusammen, aber zu einem neuen Bild, als wären die beiden Bilder miteinander vertauscht worden und als läge das untere nun zuoberst.
    Und meine Umgebung, die sich eigentlich nicht verändert hatte, erschien mir mit einem Mal in einem ganz anderen Licht.
    Ich lag am Boden, die Nase dicht an der Wurzel eines Busches. Doch diese Wurzel sah nicht mehr schwarz aus und knorrig wie die Finger einer Hexe, sondern wirkte natürlich gewachsen, wenngleich etwas verkümmert. Ich stützte mich auf die Unterarme und nahm einen ekelerregenden Gestank wahr, wie von lange nicht gewaschenen Leibern und Lumpen. Benommen schüttelte ich den Kopf, dann hob ich den Blick und sah den Vampir an – vielmehr…
    Vielmehr saß ein schlankes, blasses Mädchen mit sehr hellen Haaren vor mir und betrachtete mich forschend aus hellgrauen Augen. Aus ihrem Haar ragten fremdartige Ohrenspitzen hervor.

Weitere Kostenlose Bücher