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Das Vermächtnis des Rings

Das Vermächtnis des Rings

Titel: Das Vermächtnis des Rings Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Bauer
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aus gleich welchem Grund einem Verbrecher dient, wird selbst zum Verbrecher und verliert die Möglichkeit, wie ein ehrlicher Mensch zu handeln. Auch wenn er nur die Augen vor der Wahrheit verschließt, eine Kunst, die ihr Menschen sehr gut beherrscht und die euch für die Schliche des Schillernden so anfällig macht. Im Grunde aber ist jemand, der ihm freiwillig folgt, bald ebenso in seiner Freiheit eingeschränkt, wie du es warst.«
    Die tiefe Überzeugung, mit der Enea ihre Lehrsätze vertrat, berührte mich seltsam. Sie lief wohl nicht Gefahr, den Bemühungen des Grauen Herrschers zu erliegen, Unklarheit zu erzeugen. Ich muss immer daran denken, dass sie kein Mensch ist, ging mir durch den Sinn.
    »Kämpfen denn keine verhexten Alben für den Schillernden?«, fragte ich.
    »Nein, denn wir wären nie in der Lage, die Augen vor der Wahrheit zu verschließen wie ihr Menschen. Deshalb verfallen wir nicht dem Schillernden und seinem Herrn. Wir müssen ihnen widerstehen und siegen oder untergehen.«
    »Und der Trunk, mit dem du mich befreit hast, ist eure Waffe gegen den Feind?«
    »Nicht immer. Wir selbst benötigen keinen Schutz, solange wir uns treu bleiben. Das Elixier ist ein Heilbalsam und hat dich vom Einfluss des Schillernden geheilt.«
    »Aber wie hast du mich dazu gebracht, es anzuwenden, statt dich einfach kurzerhand zu erschlagen?«
    »Eigentlich habe ich dich zu gar nichts bewegt. Der Zweifel, er keimte bereits in dir. Und du warst von Leben umgeben, von Büschen und jungen Bäumen, und Büsche und Bäume lassen sich ebenso wenig korrumpieren wie Alben. Oder hast du je böses Leben gesehen? Doch wohl nicht. Leben, das sich erhalten will und dabei auf nichts anderes Rücksicht nimmt – das gibt es gewiss. Aber Leben will dir nicht aus sich heraus schaden. Allein zur Selbsterhaltung verletzt oder vergiftet es dich. Der Schillernde und sein Herr sind da anders.
    Die Pflanzen, zwischen die ich mit letzter Kraft gekrochen war, beschirmten dich ein wenig vor dem Schillernden. Er muss sich ständig darauf konzentrieren, Menschen wie dich in seinem Bann zu halten. Deshalb lässt er die kleinen Dunkelkrieger mitlaufen, die im Kampf nicht viel leisten; aber sie haben Hexenblut in sich und kanalisieren die Zaubermacht des Schillernden auf euch. In ihrer Begleitung könnt ihr selbst Wälder durchqueren. Außerdem spüren sie, bei wem der Bann des Schillernden nachlässt. Nur die, die ihm freiwillig folgen wie die Trolle oder jene, die aus sich heraus boshaft sind wie die Dunkelkrieger, beherrscht der Schillernde ohne geistigen Zwang. Das gewöhnliche unschuldige Leben dieser Pflanzen genügte schon, um dich seinem Bann so sehr zu entziehen, dass du dich hinreißen ließest, den Trunk der ›Vampirin‹ zu versuchen. Ich habe großes Glück gehabt; auf offenem Feld hättest du mich gewiss ermordet.«
    Ich hob den Kopf und sah ihr ins Gesicht, doch ihren Worten zum Trotze schien sie keinen Groll gegen mich zu hegen. »Wie kannst du so sicher sein, dass der Schillernde nicht Böses freigesetzt hat, das ohnehin schon in mir schlummerte?«
    »Dann hättest du längst versucht, mich zu ermorden, um dieses wertvolle Elixier in die Hände zu bekommen, oder mir Gewalt anzutun, denn ich sehe, dass ich den Mann in dir reize. Träfe deine Befürchtung zu, wäre einer von uns womöglich schon tot.«
    Ich starrte sie an. Sie wusste nichts über mich oder die Gesetze, unter denen ich aufgewachsen war. Obwohl ich damals die Ödnis der Ostlande schon lange hinter mir gelassen hatte, streifte ich die Gebräuche meines Volkes nie ab, denn sie gaben mir auch in der Fremde Regeln, an denen ich ermessen konnte, ob ich das Leben eines anständigen Menschen führte. Damals, als ich mit Enea im Wald saß und mich ausruhte, wusste ich das nicht so deutlich wie heute, und doch lag es in meiner Natur.
    »Da, wo ich herkomme«, sagte ich langsam, »gibt es keine größere Sünde, als wenn der Vater den Sohn tötet oder der Sohn den Vater. Schändete ich eine Frau und ginge aus dieser Verbindung ein Sohn hervor, so stände ich ihm vielleicht eines Tages als Feind gegenüber und müsste ihn töten – oder er mich. In jedem Fall ist meine Linie dann verflucht bis ins siebte Glied. Selbst wenn ich die Frau nach der Schändung töte, was viele brandschatzende Wilde tun, nehme ich durch diese Tat in Kauf, den Sohn, der aus unserem Verkehr hervorgehen kann, zu töten, und das ist genauso schlimm, als hätte ich es getan. Unsere Götter verlangen von

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