Das Vermächtnis des Rings
auch wenn Maziroc gute Gründe gehabt haben mochte.
Es hatte auch andere Menschen an seiner Seite gegeben: Laira, die Hexe vom Orden der Vingala, und allen voran Floyd, der Gaukler, mit dem zusammen er sich auf den gefährlichen Weg zur Zitadelle seines Vaters im Ödland von Sharolan gemacht hatte. Aber letztlich waren auch sie nur für eine gewisse Zeit Wegbegleiter gewesen, und es deckte sich derzeit nicht mit seinen Plänen, zu feste Freundschaften zu schließen. Bei der Suche, auf der er zurzeit war, konnte ihm niemand helfen. Zu sich selbst zu finden und sich über seinen Platz in dieser Welt Klarheit zu verschaffen, das war ein Weg, den er nur allein beschreiten konnte.
Statt nach Cavillon zurückzukehren, hatte Aylon sich deshalb von Sharolan aus weiter nach Osten gewandt, um dort die nur dünn besiedelten und weitgehend unerforschten Länder zu erkunden, von denen Reisende manchmal die erstaunlichsten Geschichten berichteten. Wenn auch nur ein kleiner Teil davon wahr war, versprach die Reise ein aufregendes Erlebnis zu werden.
Mit halb geschlossenen Augen döste er vor sich hin, und mehrfach fiel er sogar in einen kurzen Schlaf – als er plötzlich durch Geräusche aufgeschreckt wurde, die so gar nicht zu dieser idyllischen, friedlichen Landschaft passen wollten. Das Klirren von Stahl drang an seine Ohren, gedämpft und aus einiger Entfernung, aber es handelte sich unzweifelhaft um Kampflärm, und der kam aus dem Wäldchen ganz in seiner Nähe.
Ohne lange zu zögern, sprang Aylon auf und drang tiefer in das Wäldchen ein. Er war nicht erpicht darauf, in eine bewaffnete Auseinandersetzung hineingezogen zu werden, wollte jedoch zumindest wissen, was in seiner unmittelbaren Umgebung vor sich ging. Das Tal mochte paradiesisch erscheinen, doch hieß das nicht zwangsläufig, dass es keine Gefahren beherbergte.
Das Waffengeklirr wurde lauter, und nun waren auch Keuchen und andere Laute zu hören, die wie eine Mischung aus Knurren und Grunzen klangen. Unterholz, das ihm Deckung bieten konnte, gab es in diesem Buchenhain kaum, sodass Aylon vorsichtig von Baumstamm zu Baumstamm huschte.
Es dauerte nicht lange, bis er die Urheber der Kampfgeräusche erblickte. Es handelte sich um rund ein Dutzend kleinwüchsige Gestalten, gekleidet in erdbraune, kuttenartige Gewänder, die bis zum Boden reichten. Ihre Gesichter waren hinter hochgeschlagenen, spitz zulaufenden Kapuzen verborgen. Einige von ihnen lagen bereits regungslos auf dem Boden, die Übrigen griffen mit ihren kurzklingigen Schwertern eine junge Frau an.
Aylon stockte der Atem. Die Fremde trug braune Hosen, die in kniehohen Stiefeln verschwanden, dazu eine helle Bluse unter einem gleichfalls braunen Lederwams. Sie mochte Anfang zwanzig sein, also nur geringfügig älter als er selbst, und sie war das bezauberndste Geschöpf, das er je erblickt hatte. Langes, hellblondes, fast weißes Haar rahmte ein Gesicht von solcher Zartheit und solchem elfenhaften Liebreiz, dass ihr bloßer Anblick sein Herz schneller schlagen ließ. Auch ihre Bewegungen waren von unglaublicher Anmut, und sie wusste mit ihrem Schwert hervorragend umzugehen.
Wie gebannt starrte Aylon auf das Kampfgeschehen. Die Frau stand dicht vor einem großen Baum, der ihr den Rücken deckte. Mit einer Schnelligkeit und Geschicklichkeit, die wahre Meisterschaft verriet, parierte sie die Hiebe der gnomenhaften Wesen und machte sogar selbst einige Ausfälle. Blitzartig zuckte ihre Waffe vor, und ein weiterer Angreifer sank, von ihrem Schwert durchbohrt, tot zu Boden.
Dennoch war es ein ungleicher Kampf. Die Übermacht der Gnome war einfach zu groß. Auch blutete die Frau bereits aus mehreren Wunden, und ihre Bewegungen wurden allmählich langsamer und schwächer. Der Zeitpunkt war abzusehen, wann einer der Angreifer ihre Abwehr durchdringen und ihr eine tödliche Verletzung zufügen würde.
Ohne länger zu zögern, zog Aylon sein eigenes Schwert und stürmte vorwärts. Er wusste nicht, um was es bei dem Kampf ging, aber es gab keinen Zweifel, auf welcher Seite seine Sympathien lagen.
Zwei der Gnome fuhren herum, als sie seine Schritte hörten, und stießen ein zorniges Fauchen aus. Wuchtig schlug Aylon mit dem Schwert nach einem von ihnen, doch drehte er die Waffe im letzten Moment so, dass er den Gnom nur mit der flachen Seite der Klinge am Kopf traf. Aylon empfand eine viel zu große Ehrfurcht vor dem Leben, um leichtfertig zu töten – selbst wenn seine Gegner solche Skrupel offenbar nicht
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