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Das Vermaechtnis des Will Wolfkin

Das Vermaechtnis des Will Wolfkin

Titel: Das Vermaechtnis des Will Wolfkin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Knight
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und ebenso sicher würde Emma sie meistern.
    Irgendwann packte mich die Wut und ich rief laut: »Earl Hawkin! Das ist lächerlich, die Blumen sehen alle gleich aus!« Keine Antwort. Nur ein Teppich aus identischen Blumen, die im Wind zitterten.
    Ich setzte mich auf den Stamm einer umgestürzten Eiche und lehnte den Kopf an den benachbarten Baum. Mein Mantel war jetzt dicker geworden und die mollige Wärme machte mich schläfrig. Ich schloss die Augen und versank in einem angenehmen Traumzustand.
    Das Schluchzen eines Kindes weckte mich.
    Als ich erschrocken die Augen aufriss, sah ich Emmas Baumwollkleid durch ein Gebüsch schimmern. Ich stand auf und ging darauf zu. Zwischen den Blumen saß ein Mädchen, das genau wie Emma aussah, nur fünf Jahre jünger. Es trug das gleiche Kleid, hatte die gleiche Lücke zwischen den Zähnen und die gleichen Augen, aber es war ein kleines Kind, das die Hände vors Gesicht geschlagen hatte und lautlos weinte.
    »Emma?«, sagte ich und sie fuhr herum. Sie schien mich nicht zu erkennen, aber sie hatte offenbar auch keine Angst.
    »Was ist passiert?«, sagte ich und trat näher.
    »Mein Bruder«, sagte sie weinend.
    »Was ist mit ihm?«
    Sie schluchzte noch heftiger und vergrub wieder das Gesicht in den Händen. Ich sah, dass sie eine Blume zwischen den Fingern hielt.
    »Ich sollte auf ihn aufpassen, aber … ich … wollte ein bisschen mit meinem Hund spielen und habe … meinen Bruder von der Hand gelassen … und er … ist nicht auf dem Weg geblieben und da … war eine Landmine …«
    Sie wurde geschüttelt von Schluchzern, und ich kniete mich neben sie, um sie zu trösten.
    »Ist ja gut, Emma …«
    »Nichts ist gut, er ist tot«, sagte sie. »Er ist tot und ich bin schuld!«
    Ich drückte ihren dünnen Arm und sagte leise: »Es ist nicht deine Schuld, Emma, du darfst dir keine Vorwürfe machen!«
    »Aber von jetzt an werde ich nur das Richtige tun!«, sagte sie energisch und schlug die Fäuste zusammen. »Ich will es irgendwie wiedergutmachen …«
    Als ich Emma forschend ansah, erkannte ich ihren entschlossenen Blick.
    Ich hatte keine Ahnung, dass, wenn man Blumen zuhörte, es im Grunde genommen ähnlich war, wie wenn man eine Vision hatte. Ich wusste nicht, ob ich wach war oder träumte, Emma sah jedenfalls aus wie in Wirklichkeit. Egils Rat war nicht verkehrt gewesen: Ich musste mit dem Unerwarteten rechnen.
    In diesem Augenblick hörte ich wieder Earl Hawkins schallende Stimme zwischen den Bäumen.
    »Die Zeit ist um, Kinder!«
    Ich hob den Kopf und schaute in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war, und als ich mich wieder umdrehte, war Emma verschwunden. Statt eines kleinen Mädchens sah ich nur noch die Blume, die sie in der Hand gehabt hatte: Sie lag auf all den anderen Blumen und zitterte im Wind.

    An diesem Abend aßen Emma und ich allein. Egil hatte sich klugerweise entschuldigt, und ich vermutete stark, er wusste, dass wir gern unter vier Augen miteinander reden wollten.
    Earl Hawkin hatte uns nicht danach gefragt, was wir von den Blumen erfahren hatten, aber wahrscheinlich konnte er aus unserem nachdenklichen Schweigen schließen, dass seine Unterrichtsstunde ein Erfolg gewesen war. Wir schwiegen, bis ich die erste Portion auf Emmas Teller geschöpft hatte. Der Tisch war während unserer Abwesenheit entweder ersetzt oder repariert worden.
    »Hast du meine Blume gefunden?«, fragte ich so beiläufig wie möglich. Sie nickte.
    »Und du? Hast du meine gefunden?«, fragte sie zurück, und ich nickte auch.
    Sie sah mich an und das Kerzenlicht ließ ihre Augen riesig erscheinen. »Und?«, sagte sie.
    Ich legte den Löffel hin und holte tief Luft.
    »Ich glaube, du hast deiner Blume erzählt, dass du dich schuldig fühlst am Tod deines Bruders …«
    Emma senkte den Kopf. Hätte ich doch nichts gesagt, dachte ich und nahm mir vor, sie ein bisschen aufzumuntern.
    »Du brauchst dir wirklich nichts vorzuwerfen«, sagte ich. »Gib den Idioten die Schuld, die in einem bewohnten Dorf Landminen verbuddelt haben.«
    Sie nickte und schaute in ihren Schoß. Ich wartete darauf, dass sie den Kopf heben würde, aber das tat sie nicht.
    »Du kannst ruhig weinen, das ist schon in Ordnung«, sagte ich. Sie nickte wieder, sah aber immer noch nicht auf.
    »Was hast du über mich herausgefunden?«, fragte ich.
    Endlich hob Emma den Kopf und sah mich an. Sie lächelte. Dann schob sie den Arm über den Tisch und hielt meine Hand.
    »Du warst im Wald. Du warst ganz reglos«, sagte sie

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