Das Vermächtnis von Erdsee
Goldens Oberförstern für die erfolgreiche Entbindung eines Sohnes gewesen. Farwerran selbst trug jede Menge Armbänder und Armreifen, die klimperten und blitzten, wenn sie ungeduldig einen Fluch ausstieß. Sie war keine fürsorgliche Mutter. Mit sieben hatte Rose sie gefragt: »Warum hast du mich gekriegt, wenn du mich nicht wolltest?«
»Wie kann man anständig entbinden, wenn man selbst keine Kinder bekommen hat?«
»Dann war ich also zur Übung«, hatte Rose geknurrt.
»Alles ist Übung«, hatte Farwerran entgegnet. Sie war nicht bösartig. Sie dachte nie daran, irgendetwas für ihre Tochter zu tun, aber sie schlug sie nicht, schimpfte nie mit ihr und gab ihr, worum immer sie bat, ein Abendessen, eine ihrer Kröten, die Amethyst-Halskette, Unterricht in Hexerei. Sie hätte neue Kleider angeschafft, wenn Rose sie darum gebeten hätte, aber das tat sie nicht. Rose hatte schon von früh an für sich selbst sorgen müssen, und das war einer der Gründe, weshalb Diamant sie liebte. In ihrer Gesellschaft wusste er, was Freiheit war. Ohne sie konnte er sie nur erlangen, wenn er Musik hörte oder spielte oder sang.
»Ich habe eine Begabung«, sagte er jetzt, rieb seine Schläfen und raufte sich die Haare.
»Hör auf, deinen Kopf zu misshandeln«, wies Rose ihn zurecht.
»Ich weiß, dass Tarry das glaubt.«
»Natürlich hast du sie! Was bedeutet es schon, was Tarry glaubt? Du spielst die Harfe schon zehn Mal besser, als er es je vermochte.«
Das war ein weiterer Grund, warum Diamant sie liebte.
»Gibt es irgendwelche Zauberer-Musiker?«, fragte er und sah auf.
Sie dachte nach. »Ich weiß es nicht.«
»Ich auch nicht. Morred und Elfarran sangen füreinander und er war ein Magier. Ich glaube, auf Rok gibt es einen MeisterSänger, der die Balladen und Sagen lehrt. Aber ich habe noch nie von einem Zauberer gehört, der Musiker war.«
»Ich sehe nicht, warum das nicht möglich sein sollte.« Sie sah nie etwas, was nicht sein konnte. Auch dies war ein Grund, warum er sie liebte.
»Es ist mir immer so vorgekommen, als seien sie einander irgendwie ähnlich, Magie und Musik. Zaubersprüche und Melodien. Darin nämlich, dass man sie ganz präzise ausführen muss.«
»Übung«, sagte Rose ziemlich verdrießlich. »Ich weiß.« Sie warf einen Kiesel nach Diamant. Auf halber Strecke verwandelte er sich in einen Schmetterling. Er warf ihr einen Schmetterling zurück, und die beiden flirrten und flatterten einen Augenblick lang umher, bevor sie wieder als Kiesel zu Boden fielen. Diamant und Rose hatten eine ganze Reihe von Variationen zu dem alten Trick mit dem Steinehüpfen erfunden.
»Du solltest gehen, Di«, sagte sie. »Einfach, um es herauszufinden.«
»Ich weiß.«
»Was, wenn du ein Zauberer wirst? Oh! Denk doch nur an all die Dinge, die du mir beibringen kannst! Die Gestalt zu wandeln - wir könnten alles sein. Pferde. Bären!«
»Maulwürfe«, sagte Diamant. »Ehrlich, ich fühle mich so, dass ich mich am liebsten in der Erde verkriechen würde. Ich habe immer gedacht, Vater würde mir den ganzen Geschäftskram beibringen, wenn ich meinen Namen bekommen habe. Aber in all den Jahren hat er sich irgendwie zurückgehalten. Er muss das wohl schon eine Weile im Sinn gehabt haben. Aber was, wenn ich dort hingehe und als Zauberer um keinen Deut besser bin als in Buchhaltung? Warum kann ich nicht das tim, wovon ich weiß, dass ich es wirklich kann?«
»Nun, warum kannst du nicht beides tun? Die Magie und die Musik? Einen Buchhalter kann man immer bezahlen.«
Wenn sie lachte, strahlte ihr mageres Gesicht, ihr schmaler Mund ging in die Breite und ihre Augen verschwanden.
»O Schattenrose«, sagte Diamant, »ich liebe dich.«
»Natürlich tust du das. Ist auch besser so. Ich verhexe dich nämlich, wenn du es nicht tust.«
Sie rutschten auf den Knien aufeinander zu, Gesicht lag an Gesicht, die Arme hingen herab, die Hände ineinander verschränkt. Sie küssten sich über das ganze Gesicht. Für Roses Lippen war Diamants Gesicht glatt und voll wie eine Pflaume, mit einer Spur von Kitzeln an der Oberlippe und am Kinn, wo er kürzlich begonnen hatte, sich zu rasieren. Für Diamants Lippen war Roses Gesicht weich wie Seide mit einer Spur Rauheit auf einer Wange, die sie sich mit der schmutzigen Hand gerieben hatte. Sie rückten noch näher zusammen, so-dass Brust und Bauch sich berührten, die Hände hingen weiterhin an den Seiten herab. Sie küssten sich immer noch.
»Schattenrose«, hauchte er ihr ins Ohr, sein
Weitere Kostenlose Bücher