Das Vermächtnis von Thrandor - Das Schwert aus dem Feuer
denn die Linien, auf die Gerrans großer Finger zeigte, bildeten Runen der Kraft. Insgesamt drei. Die Schriftzeichen für Licht, Feuer und Luft.
»Darf ich?«, fragte Calvyn und streckte die Hand nach dem Schwert aus.
»Natürlich.«
Gerran hielt ihm die Waffe mit dem Heft zuerst hin. Calvyn ergriff das kalte Metall und ihm stockte der Atem.
»Alles in Ordnung? Hast du dich verletzt?«
»Nein, nein. Alles gut«, versicherte Calvyn mit einem strahlenden Lächeln. »Alles bestens.«
In dem Moment, in dem er das Schwert berührte, hatte Calvyn eine Art wundersame Verschmelzung empfunden, als ob seine Hand mit dem Heft verbunden wäre. Dies war unzweifelhaft sein Schwert. Er spürte es mit jeder Faser seines Körpers.
Er hob die Schwertspitze und war erstaunt, wie leicht die Waffe in der Hand lag. Er wunderte sich schon, warum der Schmied nichts dazu gesagt hatte, aber dann fiel ihm ein, dass sich das Schwert für Gerran wie jedes andere anfühlen musste. Der Zauber wirkte nur bei Calvyn.
Calvyn hob die Klinge zu einem Salut auf das Können des Schmieds und wollte Gerran gerade für seine Zeit, Geduld und Kunstfertigkeit danken, als etwas Seltsames geschah. So klar und vernehmlich, als stünde der alte Mann direkt hinter ihm, hörte er Perdimonns Stimme. Sie sprach die Runen eines Zauberspruchs. Ohne zu wissen, warum, wiederholte Calvyn die Worte laut, und es flossen weitere
Runen in die Waffe, deren Bedeutung er zum Großteil nicht kannte. Als der Spruch endete, bemerkte Calvyn, dass ein viertes Schriftzeichen auf dem Schwert erschienen war. Der Schmied aber bewunderte nun nicht mehr sein Werk, sondern sah Calvyn mit misstrauischer Miene an.
»Was war das denn?«
»Nur ein Segensspruch für dich und deine Arbeit«, log Calvyn. »Hab Dank, Gerran. Deine Meisterschaft sucht ihresgleichen, und ich werde dich weiterempfehlen, solange du den Hammer schwingst. Wenn du nichts dagegen hast, würde ich jetzt gern gehen und das Heft einbinden, damit es richtig in der Hand liegt. Entschuldige meinen plötzlichen Aufbruch, aber ich werde dich nun in Frieden lassen, damit du deine Arbeit tun kannst.«
»Kein Problem«, brummte der Schmied. Als Calvyn durch das Tor zu Schmiede verschwunden war, murmelte er noch: »Seltsam … wirklich seltsam«, und wandte sich dann dem ersten Werkstück seiner für diesen Morgen anstehenden Aufträge zu. Draußen wollte Calvyn die vierte Rune noch einmal genauer betrachten – doch sie war inzwischen wieder verschwunden. Er hatte sie nicht erkannt, obwohl sie ihm irgendwie vertraut vorgekommen war, so als müsse er es kennen. Das Verwunderlichste aber war, dass er sich die Form der Rune, nun da er es versuchte, nicht mehr in Erinnerung rufen konnte. Er konnte sich nur an einige Stellen des seltsamen Zauberspruchs erinnern, die für sich allein aber keinen Sinn ergaben. Genauso wenig wusste er, warum er Perdimonns Stimme gehört hatte, auch wenn es ihn irgendwie beruhigte, denn er hatte die ganze Woche darüber nachgegrübelt, ob es wirklich sein alter Freund gewesen war, der ihn auf dem Marktplatz vor der greisen Wahrsagerin gewarnt hatte. Das Erscheinen des vierten Schriftzeichens, das nur sein Meister kennen konnte,
versicherte ihm, dass er sich das Ganze nicht eingebildet hatte. Doch dann war die Rune spurlos verschwunden, und er wusste nicht, was es mit dem letzten Zauberspruch auf sich hatte, mit dem er, als Perdimonns Echo, sein Schwert belegt hatte.
Calvyn strich vorsichtig über die Stelle, an der sich das geheimnisvolle Zeichen gezeigt hatte. Im Geiste sah er seinen alten Lehrmeister vor sich.
»Was hatte das zu bedeuten, alter Freund?«, fragte er laut.
Aber es kam ihm nur ein wohlbekanntes Lachen in den Sinn, das sich mit seiner ansteckenden Art auf Calvyns Lippen übertrug, und gleich darauf verzogen sich seine Mundwinkel zu einem Grinsen.
15
»Wo ist Derra? Sie kommt doch sonst nie zu spät«, murmelte Jenna. Calvyn und sie warteten mit dem Spähtrupp an den Toren der Burg. Korporalin Derra ging immer mit gutem Beispiel voran und war stets vor allen anderen da. Sie kam pünktlich mit dem Hornstoß zur vollen Stunde, und dann wehe dem, der nur eine Sekunde zu spät eintraf. Heute aber war es längst an der Zeit, dass die Patrouille sich in Bewegung setzte. Von Derra aber fehlte jede Spur. Die Soldaten wurden langsam unruhig. Die geflüsterten Gespräche wurden lauter und lauter. Dann erhob einer der älteren Soldaten die Stimme:
»Alle mal herhören. Wenn Korporalin
Weitere Kostenlose Bücher