Das Vermächtnis von Thrandor - Das Schwert aus dem Feuer
Frau hallte in seinem Schädel wider wie die endlosen Schreie der Skrii-Lerche. Der irrsinnige Gesang dieser unglückseligen Lerche hatte dazu geführt, dass sie die meistgejagte Vogelart in Thrandor war – und das nur, um das Land von ihrem höchst unangenehmen Kreischen zu befreien.
Calvyn hätte alles getan, um das ähnlich nervenzermürbende Gelächter aus dem Kopf zu bekommen. Es beunruhigte ihn, dass er anscheinend einem vorbestimmten Pfad folgte, der zu einer Begegnung mit dem geheimnisvollen »Auserwählten« führen würde. Was genau die alte Hexe mit ihren Rätseln gemeint hatte, blieb unklar. Wenn Derra die Unerbittliche war, Jenna die Jägerin, dann war er also das Schwert? War dies dann der eigentliche Grund für seine
Ruhe und sein Selbstvertrauen beim Schmieden des Schwertes? Die Alte hatte gesagt, seine Hände würden »vom heiligen Feuer verschlungen« und das Schwert würde »brennen«. Ja, dass sein Schwert brannte, wusste er bereits, denn kurz nachdem seine Waffe fertiggeschmiedet war, hatte er den eigens ersonnenen Zauber überprüft. Als er die Rune der Kraft ausgesprochen hatte, waren Flammen aus dem Schwert geschlagen, die vom Heft bis zur Schwertspitze züngelten. Seine Hände aber hatten keinerlei Hitze gespürt.
»Hallo! Jemand zu Hause?«, fragte Jenna und riss ihn aus seinen düsteren Gedanken, indem sie mit einer Hand vor seinen Augen wedelte.
»Entschuldige. Ich war meilenweit weg.«
»Willst du darüber reden?«
»Ich weiß nicht genau.«
»Ist es die alte Seherin?«, erkundigte sich Jenna ahnungsvoll.
»Ja. Sie hat mehr Fragen aufgeworfen, als sie Antworten gegeben hat.«
»Ich habe auch viel über diese Fragen nachgegrübelt, und jetzt, wo der von ihr vorausgesagte Krieg so schnell gekommen ist …« Jenna hielt inne und sammelte ihre Gedanken. »Es gibt so viele mögliche Erklärungen für die Weissagungen der alten Hexe, und eine davon könnte immer noch sein, dass sie uns etwas vorgemacht hat.«
»Aber der Krieg …«, wandte Calvyn überrascht ein.
»Derra sagte, die alte Frau stamme aus Terachim«, unterbrach ihn Jenna. »Ich bin sicher, diese angeblichen Seherinnen nutzen vertrauliche Informationen, um ihren Visionen mehr Glaubhaftigkeit zu verleihen. Womöglich hat sie so einst Derras Vertrauen gewonnen. Vielleicht hatte die alte Frau irgendwie erfahren, dass Derra befördert werden
sollte, und auch wann. Wer weiß? Aber selbst wenn das nicht der Fall sein sollte, sind ihre Prophezeiungen doch so vage und so offen für alle möglichen Deutungen, dass sie auf fast jeden Soldaten passen.«
»Und wie erklärst du dir dann, dass die Alte dich die Jägerin genannt und vorhergesagt hat, dass deine Beute die gefährlichste aller Zeiten sein würde?«, fragte Calvyn. Er wunderte sich über Jennas vehemente Zweifel.
»Für eine Soldatin ist es nun mal nicht ungewöhnlich, dass sie den Bogen dem Schwert vorzieht. Und der Bogen ist auch die beliebteste Waffe für die Jagd. So kommt man auf die Jägerin. Und was die gefährlichste Beute aller Zeiten angeht – das könnte alles sein, von einem Löwen bis hin zu einem menschlichen Gegner. Was als gefährlich wahrgenommen wird, hängt doch ganz vom Empfinden des Einzelnen ab. Wie sollte ihre Weissagung da nicht ins Schwarze treffen? Jede gefährliche Beute könnte für den Betroffenen die gefährlichste aller Zeit sein. Es ist eine Frage des Blickwinkels und des Wunschs nach einer Erklärung.«
Jennas Argumente waren überzeugend, und dennoch wurde Calvyn das Gefühl nicht los, dass mehr dahintersteckte. Nach Jennas Ansicht war der Auserwählte einfach nur jemand, dem Calvyn diesen Titel einst verleihen würde, wenn die Umstände nur annähernd so waren wie von der alten Frau geschildert. Doch die Seherin hatte ja anklingen lassen, dass dieser von ihr genannte Auserwählte eine bedeutende und mächtige Person sei, die vielleicht sogar über magische Kräfte verfügte. In Calvyns Kopf türmten sich die Fragen und sie blieben alle unbeantwortet.
»Ich weiß nicht, ob das die Lösung des Rätsels ist, Jenna, aber ich bin froh, dass du mir gesagt hast, was du darüber denkst. Ich fühle mich jetzt bedeutend besser. Wie sagt man? Geteiltes Leid ist halbes Leid.«
Calvyn lächelte seine Freundin dankbar an und drückte sanft ihre Hand. Für einen Moment sahen sie sich tief in die Augen und das Band zwischen ihnen wurde noch fester.
»Ich freue mich, dass ich dir helfen konnte, aber was ist mit dir? Du hast noch nicht gesagt, was
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