Das Vermächtnis von Thrandor - Der Auserwählte
voranreiten konnte. Meister Kalmar übernahm in seiner Eigenschaft als Diener Lomands Handpferd.
Obwohl sie bergab nur Schritt reiten konnten, waren sie bald am Stadttor angekommen. Schon von Weitem sahen sie Neugierige auf die Stadtmauer und durch das Tor strömen. Diejenigen, die von der Stadt aus den eindrucksvollen Kampf beobachtet hatten, erzählten denen, die nicht dabei gewesen waren, die wildesten Geschichten. Calvyn hörte, dass von Dutzenden von Magiern die Rede war, die aus dem Nichts aufgetaucht seien und Feuerblitze von den Stadtmauern geschossen hätten, um dann unvermittelt wieder zu verschwinden. Andere sprachen von einer turmhohen Welle, die sich aus dem Fluss Fallow erhoben habe, wieder andere von gewaltigen Explosionen. Calvyn wusste, wie viel Kraft es kostete, auch nur einen kleinen Feuerball entstehen zu lassen. Selbst mit dem Stab des Dantillus wären die Blitze, von denen die Leute sprachen, so gut wie unmöglich.
Akhdar hielt am Stadttor kurz an und fragte einen Bürger, was geschehen sei. Bald war er grob im Bilde.
»Die Hüter haben offensichtlich die Oberhand behalten«, gab er nach hinten durch. »Die Leute sagen, sie seien gerade erst zum Palast hinaufgegangen. Kennst du den Weg, Calvyn?«
Calvyns Herz hüpfte vor Erleichterung, und als er Jennas Blick begegnete, strahlte er sie an. Perdimonn war es gelungen, Selkor ein zweites Mal abzuwehren. Wenn der alte Magier auf dem Weg zum Palast war, so würden sie ihn dort treffen, denn der König erwartete sicher heute noch von Calvyn einen ausführlichen Bericht.
»Hinter der Stadtmauer links, dann die erste Straße
rechts und immer geradeaus den Berg hinauf«, erwiderte Calvyn. »Der Palast liegt ganz oben auf dem Hügel.«
Als Jenna und Calvyn den Magiern den Berg hinauf folgten, waren sie so gelöster Stimmung wie seit Wochen nicht mehr. Umso mehr überraschte es Calvyn, dass die vier Magier nach wie vor besorgte Mienen aufgesetzt hatten. Calvyn konnte seine Neugier nicht zügeln. »Was ist los, Lomand?«, fragte er leise. »Warum zieht ihr alle so ein Gesicht? Die Hüter haben doch gesiegt.«
»Ja, aber zu welchem Preis?«, knurrte Lomand. »Es kann gut sein, dass Selkor jetzt alle vier Schlüssel hat. Nur weil er abgezogen ist, heißt das noch lange nicht, dass er sein Ziel nicht erreicht hat.«
Calvyn verfiel in grübelndes Schweigen. Kurz vor dem Palast ritt er an die Spitze der Gruppe.
»Meister Kalmar, könntet Ihr die Illusion bitte aufheben?«, sagte er. »Dann frage ich die Wachen, ob die Hüter im Palast sind, und kümmere mich darum, dass wir eingelassen werden.«
Meister Kalmar benötigte mehrere Minuten, um die Tarnung rückgängig zu machen, und wieder ärgerte sich Calvyn, dass er nicht seine Hilfe als Zauberer anbieten konnte, um Zeit zu sparen. Als Kalmar endlich fertig war, ritt Calvyn zum Haupttor und sprach die Garden an.
»Seid gegrüßt, meine Herren. Würdet ihr bitte melden, dass Sir Calvyn am Tor auf Einlass wartet? Ich bin in Begleitung von fünf Freunden und wir bitten um eine Audienz beim König.«
»Ihr werdet bereits erwartet, Sir Calvyn. Einen Augenblick bitte, dann werdet Ihr und Eure Gefährten zum König geleitet.«
»Erwartet? Dann sind Perdimonn und die drei anderen
Magier schon hier? Wann sind sie eingetroffen?«, wollte Calvyn wissen.
»Vor zwei Tagen, Sir«, erwiderte der Wachmann. »Sie haben bei ihrer Ankunft reichlich Wirbel veranstaltet. Es heißt, sie hätten hier vor dem Palast Magie ausgeübt, Sir. Und heute müssen sie unten vor der Stadt eine noch abenteuerlichere Vorstellung abgeliefert haben.«
Einer der Männer war zur Wachstube gegangen und kam kurz darauf mit einer ganzen Gruppe zurück, die die Pferde wegführte und die Ankömmlinge in den Palast geleitete. Obwohl er nicht das erste Mal hier war, beeindruckte Calvyn die schiere Größe und die Pracht des Palastes aufs Neue. Ehrfurcht und Staunen würden ihn wohl auch in Zukunft jedes Mal erfassen, wenn er den Palast betrat.
Wieder ging es durch die große Eingangshalle, und Calvyns Blick wanderte unwillkürlich zu dem Wandteppich, auf dem Darkweavers Fall dargestellt war. Irgendwie überraschte es Calvyn nicht, dass die Abbildung sich wieder geändert hatte, doch diesmal war die Veränderung höchst merkwürdig. Er zupfte Jenna am Ärmel und deutete unauffällig auf den Gobelin.
»Das ist ein anderer Teppich als der, den wir letztes Mal gesehen haben«, flüsterte Jenna stirnrunzelnd. »Aber das Motiv ist sehr ähnlich,
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