Das Vermächtnis von Thrandor - Der Pfad der Jägerin
Derra.
»Zugegeben, Sergeant, das war ein weiter Weg. Aber wenn das damit gemeint war, warum hat sie es dann nicht in allen Vorhersagen erwähnt? Wir sind doch alle nach Mantor gegangen.«
»Das war ein verrücktes altes Weib, Jenna. Es war ein Fehler, dich und Calvyn mitzunehmen. Wer kann schon
sagen, warum sie diese Dinge gesagt hat? Ich nicht, und mittlerweile ist es mir auch egal. Ich will nicht, dass du auf ihre kranken Wahnvorstellungen hörst, und damit basta. Schlag dir deine Traumflüge aus dem Kopf und konzentriere dich auf die wirkliche Welt. Wie entwickeln sich denn die Rekruten in deinem Trupp? Glaubst du, sie werden im Kampf zusammenhalten?«
Jenna hielt dem Blick ihrer Vorgesetzten kurz stand, doch Derra war wie immer die Stärkere. Jenna berichtete daher pflichtschuldig von ihrem ersten Eindruck.
Ehe Derra sie aus dem Gespräch entließ, gab sie ihr noch eine letzte Warnung mit auf den Weg.
»Von deinen Träumen wird nichts aus diesem Raum dringen, Jenna. Auf der Burg dürfen nicht noch mehr Gerüchte über Magie und übernatürliche Kräfte umherschwirren. Du hast in letzter Zeit nicht gut geschlafen und bist aus Erschöpfung bewusstlos geworden, so lautet die offizielle Version. Ich will nichts von geheimnisvollen Stimmen und entlegenen Berggipfeln hören, ist das klar?«, knurrte Derra drohend.
»Glasklar«, erwiderte Jenna mit demütig geneigtem Kopf, während ihr das Herz in der Brust hämmerte, der Trotz ungestüm durch ihre Adern schoss und sie am liebsten aus voller Kehle gebrüllt hätte: »Geh zur Hölle!« Doch damit hätte sie sich nur weiteren Ärger eingehandelt, wahrscheinlich eine Kerkerstrafe, die sie jetzt wahrlich nicht gebrauchen konnte. So salutierte sie nur und verließ die Dienststube. Als Jenna in der Spätnachmittagssonne den Waffenübungsplatz betrat, den das Klirren und Krachen der Schwerter erfüllte, wusste sie, dass es weise gewesen war, ihrem Impuls nicht zu folgen.
Beim Abendessen und später in der Unterkunft wurde Jenna mit Fragen gelöchert, die sie so beantwortete, wie
Sergeantin Derra es verlangt hatte. Als Beweis zeigte sie das Schlafmittel vor. Vor dem Einschlafen, bereits müde von dem Elixier, das sie vor dem Löschen der Lichter eingenommen hatte, kehrte Jenna noch einmal zu der Begegnung mit dem Alten zurück. Ehe sie sich erleichtert dem Schlaf überantwortete, war ihr letzter Gedanke, dass sie sich auf den Weg machen würde, um Calvyn zu helfen – egal wie.
7
Als Calvyn aus seiner Ohnmacht erwachte, überwältigte ihn die Panik. Nur mit Mühe konnte er sich dazu bringen, stillzuhalten, zunächst seine Lage zu erfassen und darauf zu warten, dass sich sein rasender Puls beruhigte.
Calvyn war an Händen und Füßen gefesselt und hatte einen Sack über dem Kopf, unter dem ihm das Atmen schwerfiel. Zunächst fürchtete er zu ersticken, doch bald kam er zu dem Schluss, dass er schon nicht mehr am Leben wäre, wenn die Luft unter dem Sack nicht ausgereicht hätte.
An seine Ohren drangen Geräusche, die er nicht einordnen konnte, und in willkürlichen Abständen wurde sein Körper durchgerüttelt. Calvyn zwang sich, erst einmal festzustellen, welche Verletzungen er hatte und wie schwer sie waren.
Er hatte rasende Kopfschmerzen – das war einfach, etwas hatte ihn hart am Hinterkopf getroffen. Wann oder wie, daran konnte er sich nicht erinnern. Doch unter dem Sack
trug er eine Augenbinde, deren Knoten genau an der Stelle lag, an der der Schmerz seinen Ursprung hatte. Das quälende Pochen, das von der Wunde ausging, wurde mit jedem Gedanken daran schlimmer.
Mit der Willenskraft und Selbstbeherrschung, die er monatelang trainiert hatte, gelang es Calvyn, die Schmerzen auszublenden und seine Gedanken zu ordnen. Die Anstrengung war ungeheuer, und obwohl er sich keinen Haarbreit bewegte, spürte er Schweißtropfen auf der Stirn.
Calvyn ging ein Körperteil nach dem anderen durch, spannte vorsichtig eine Muskelgruppe an und entspannte sie wieder. Für den Fall, dass ihn jemand beobachtete, vermied er jede sichtbare Bewegung. Abgesehen von der Kopfverletzung und etwas am rechten Oberarm, das sich wie getrocknetes Blut anfühlte, war er wohl unversehrt. Das geronnene Blut verriet ihm, dass er eine ganze Weile bewusstlos gewesen sein musste. Die Wunde, aus der das Blut getreten war, war nicht tief oder aber behandelt worden; vielleicht war es auch gar nicht sein Blut. Welche dieser drei Möglichkeiten zutraf, konnte er nicht entscheiden.
Wieder erschütterten
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