Das verrueckte Schwein pfeift in der Pfanne
verloren zu haben. Das besänftigt ihn. Was wäre, wenn er nun tröstend und verständnisvoll reagieren würde? Das wäre ein großes Zeichen. Ein Zeichen wahrer Liebe. Ein Neubeginn. Berauscht von dieser Lösung trinkt Paul einen weiteren Schluck Rotwein. Er möchte es seinem Schatz aber auch nicht zu leicht machen. Eine Therapie muss her und Kim muss kämpfen. Ja, eine ganze Weile muss Kim kämpfen, bis Paul sich wieder darauf einlassen kann. Das Vertrauen muss erst wieder wachsen, das wird lange dauern, aber sie hätten immer noch sich. Sie hätten sich noch nicht verloren.
Nach einer weiteren Alkoholeinheit erlangt Paul allmählich die Kontrolle über seinen Körper zurück und macht sich mit neuem Mut im Bauch auf den Weg in das Schlafzimmer. Er hat Angst vor der Konfrontation und vor dem Bild des entweihten Liebesnestes, doch ihm bleibt keine andere Wahl. Kim musste noch viel mehr Angst haben. Diese Vorstellung tröstet ihn ein bisschen.
Bevor Paul die Tür öffnet, hält er kurz inne. Ist er wirklich darauf gefasst, Kim gleich in die Augen zu schauen? Er darf auf keinen Fall durchdrehen, Beschimpfungen und verletzende Fragen würden alles nur noch schlimmer machen. Für einen kurzen Augenblick schließt Paul die Augen und atmet tief durch. Tatsächlich gewinnt er ein wenig an Ruhe, ob dies an den Atemübungen oder an der halben Flasche Rotwein im Kopf liegt, kann er nicht sagen. Dann gibt er sich einen Ruck, öffnet die Tür und blickt zum zweiten Mal an diesem Abend auf ein unerwartetes Bild. Mit vielem hatte er gerechnet, mit Kims Trauer und Verzweiflung, vielleicht sogar mit Angst, aber nicht damit.
Vor Pauls Augen wirbelt seine bessere Hälfte aufgebracht durch den Raum und wirft dabei wild sämtliche greifbare Kleidung in den riesigen Hartschalenkoffer. Paul benötigt einige Sekunden um zu begreifen. Kim ist weder traurig noch verängstigt, Kim ist unfassbar wütend. Was soll das bedeuten? Die berühmte Flucht nach vorn?
"Kim?", setzt Paul an und bricht mitten im Satz ab. Seine Stimme klingt piepsig und zu hoch, auf einmal weiß er nicht mehr was er sagen will.
Sein Gegenüber stockt einen Moment, pustet sich wutschnaubend eine schwarze Haarsträhne aus dem Gesicht und packt weiter.
Nun wird es Paul zu bunt, ruckartig springt er auf und packt Kim am Arm. Ein paar Sekunden stehen sie sich so gegenüber, bis Kim sich losreißt.
"Paul-Martin, ich gehe."
Kim verwendet nur selten seinen vollständigen Namen und Paul schwant
Böses.
Als er nicht antwortet spricht Kim weiter: "Ich weiß, was du hören willst und du hast recht. Ja ich habe dich betrogen und ja, ich bin ein Schwein. Aber dazu gehören immer zwei. Du hast mich mehr und mehr vergessen und die ganze Zeit nur deine Beförderung zum Geschäftsführer im Kopf gehabt. Ständig hast du mir eine rosige Zukunft versprochen und was kam bisher dabei heraus? Nichts, nur unzählige einsame Nächte."
Paul nickt bedrückt, das waren auch seine Überlegungen, aber er hätte sie lieber selbst von sich gegeben, als so eiskalt von Kim zu hören.
"Ich kann nicht mehr, Paul, das geht so nicht weiter. Ich muss dich verlassen, bevor wir uns hassen."
Wild gestikulierend flitzt Kim durch die Wohnung und Paul versteht nur Bruchteile der Rede.
"Jeden Abend allein essen …",
"… Bobbie der einzige Freund …",
"… Luxus versprochen, nicht einmal Urlaub gemacht …"
Während Kim förmlich aufblüht, hat Paul das Gefühl in Treibsand zu versinken. Stumm bleibt er im Flur stehen, in dem ohnmächtigen Wissen, dass seine Welt gerade untergeht. Er kann nicht sagen, wie viele Minuten vergangen sind, bis die Tür hinter Kim ins Schloss fällt. Auf die Abschlussphrasen hat er nicht mehr reagiert. Hätte er kämpfen sollen? Er kennt Kim zu lange, um sich Chancen auszumalen.
Auf der Straße heult ein Motor auf und Paul stürzt zum Fenster. Es ist inzwischen dunkel geworden und er kann nur grobe Umrisse erkennen. Das dunkle Auto ist ihm unbekannt, der Fahrer in der Tiefe der Nacht verborgen. Kim steigt in den Wagen und braust davon.
Paul bricht zusammen. Verzweifelt sackt er auf den nackten Boden, die Gardinen mit der rechten Hand umklammert. Ein Heulkrampf schüttelt ihn so sehr, dass er keine Luft mehr bekommt. So vergeht eine Zeit. Irgendwann, für sein Verständnis viel zu früh, wird Pauls Atmung ruhiger, die Sekunden zwischen den Schluchzern länger und er richtet sich langsam auf. Nach wie vor ist er zu benommen, um zu verstehen, aber eines weiß er ganz genau. Er braucht jetzt
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