Das verrueckte Schwein pfeift in der Pfanne
bringen. Auch das Führen von Listen ist eine alte Gewohnheit, die Paul nicht ablegen kann. Entschlossen schlägt er die letzte Seite des Buches auf, setzt den Stift an und … hält inne.
Was würde es bringen, sich die grausame Wahrheit derart vor Augen zu führen? Wäre es nicht leichter, damit noch ein paar Tage zu warten und zunächst den Kopf in den Sand zu stecken? Momentan könnte er ja doch nichts ändern und wem wäre mit seiner Selbstzerfleischung geholfen?
Paul lässt den Schreiber sinken und betrachtet die Umgebung. Die Sonne versinkt majestätisch am Horizont und weicht träge der eintretenden Dämmerung. Erste Straßenlaternen blenden auf und geben der Stadt einen besonderen Glanz. Diese Tageszeit mag er am liebsten. Die Neonlampen scheinen in dem zur Neige gehenden Tageslicht noch intensiver und das Leuchten löst in Paul ein Gefühl der Abenteuerlust aus. Kim hingegen liebt den Sonnenaufgang. Lächelnd muss Paul an die Anfänge ihrer Beziehung denken. Nicht selten hatten sie sich auf seine Dachterrasse zurückgezogen, um zunächst die Abenddämmerung und wenige Stunden später die aufgehende Sonne zu genießen. Die dazwischen liegende Nacht verging wie im Flug, bei Rotwein, romantischer Musik und tiefsinnigen Gesprächen. Was hatten sie geredet! Damals hatte Paul das Gefühl, seinen Seelenverwandten getroffen zu haben, so kitschig das auch klingen mag. Niemals hätte er sich derartige Gespräche mit einem anderen Menschen vorstellen können.
Nun, dass Kim anderer Ansicht war, haben die vergangenen Tage gezeigt.
Ein weiteres Stechen fährt Paul ins Herz und schüttelt ihn. Es hat keinen Sinn etwas zu verdrängen, was bislang das Fundament seiner Identität bedeutete. Ohne Kim ist er nur halb. Sich dies einzugestehen tut weh, auch wenn es ein wichtiger Schritt in die Zukunft ist.
Ärgerlich legt Paul seine Stirn in Falten und verflucht den Rivalen Max. Warum musste sich Kim auch gleich mit so einem Aufreißer trösten? Und überhaupt, reichte der Betrug als Warnschuss nicht aus, musste Kim ihn gleich verlassen? Früher war Paul sich sicher, bei Fremdgehen folgt die Trennung. Ohne wenn und aber. Inzwischen zweifelt Paul an seiner Überzeugung, denn der alte Spruch stimmt: Es gehören immer zwei zum Scheitern einer Beziehung. Er hatte Fehler gemacht und Kim sehr häufig allein gelassen. Sie waren einmal so glücklich, nie hätte er gedacht, dass dieses Schicksal sie eines Tages ereilen würde. Dass Paul noch eine weitaus grausamere und erschreckende Entdeckung machen würde, ahnt er noch nicht.
"I told you that the brakes are broken!"
Ein lauter Streit lässt Paul aufhorchen und er hebt den Kopf. Als sein Blick auf das zankende Paar auf dem Gehweg fällt, muss er ungewollt schmunzeln. Mit dem armen Tropf von Mann möchte er nicht tauschen. Es ist beinahe traurig, wie der ältere Herr mit eingezogenem Kopf die Tirade seiner Frau über sich ergehen lässt. Paul richtet sich in seinem Sitz auf. Womöglich ist ein abschließendes Ende die bessere Lösung, eine Trennung hinauszuzögern, ist oft nur ein Abschied auf Raten, der letztendlich noch schmerzhafter ist. Trotzdem hätte er gerne selbst diese Entscheidung getroffen, oder wenigstens dabei mitgewirkt. Aber nicht einmal ein Gespräch war er Kim wert gewesen. Das tut weh. Jetzt kann er nur abwarten und hoffen, dass Kim inzwischen den Entschluss bereut. Freilich, Max hat Stil und Geld, das zeigte sein italienischer Anzug an dem besagten Abend. Aber ist das alles? Kann ein Dosenbier am Strand manchmal nicht schöner sein, als teurer Champagner auf einem Gala-Abend?
Traurig lässt Paul den Kopf hängen. Wem will er etwas vormachen? Die meisten Blender kommen mit Prunk und Angeberei an ihr Ziel, warum soll es bei Kim anders sein? Ohne ihr Geld sind sie nichts weiter, als erbärmlich leere Gestalten, die es nie verstehen werden, dass Glück nicht käuflich ist. Düster starrt Paul auf seine Hände, als ihn ein glockenhelles Lachen aus den bitteren Verwünschungen reißt.
Am Nachbartisch nimmt unter lautem Geschrei eine Horde Kinder Platz. Wahrscheinlich handelt es sich um den Ausflug eines Kindergartens, überlegt Paul, während er amüsiert das Treiben beobachtet. Die Kleinen kennen keine Scham und stürzen sich gierig auf die Eiskarte. Eine hübsche Erzieherin versucht unterdessen verzweifelt, die Kontrolle zu behalten. Als sich ihre Blicke kreuzen, bemerkt Paul feuchten Glanz in ihren sanften Augen. Betreten schaut er zu Boden. Welcher Kummer sie wohl
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