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Das verschollene Reich

Titel: Das verschollene Reich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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verbreiteten, oder von Tageslicht, das durch schmale, in den Fels geschlagene Öffnungen fiel. Und in einem dieser Lichtschäfte, der fast waagrecht durch den Stollen verlief, erkannte Rowan etwas, das ihn in helle Aufregung versetzte.
    Ein Kreuz.
    Mit weißer Farbe war es auf eine hölzerne Pforte gemalt, die den Zugang zu einem weiteren Stollen oder einer Höhle verschloss. Rowan war erleichtert darüber, an einem so fremden Ort das vertraute Symbol der Christenheit vorzufinden. Aber was verbarg sich hinter der Pforte?
    Rowan blickte sich um. Er war allein in dem Felsengang. Kurz entschlossen legte er das Bündel mit dem Feuerholz ab und tippte die Tür an. Sie war nicht verriegelt und öffnete sich mit leisem Knarren. Rowan trat ein.
    Der Raum war nicht sehr groß und ähnelte der Kapelle eines Klosters. Es gab Nischen im Fels, in denen Kerzen brannten, eine weitere mit einem in den Stein gehauenen Taufbecken sowie eine halbrunde Apsis mit einem schlichten Holzkreuz. Davor, in der Mitte der Felsenkammer, waren einige schlichte Bänke errichtet, in einer davon kniete eine einsame Gestalt. Rowan erschrak, doch der Fremde, der ihm den Rücken zuwandte, regte sich nicht. Offenbar war er so tief ins Gebet versunken, dass er sein Eintreten gar nicht bemerkt hatte.
    Leise, um sein Glück nicht noch mehr herauszufordern, wollte sich Rowan umwenden und wieder aus der Kapelle schleichen, als ihm etwas auffiel. Das nahezu kahle Haupt des Mannes, seine Haltung beim Gebet und die Art, wie er die Hände vor der Brust gefaltet hielt, weckten Erinnerungen in ihm … Rowan zögerte, doch die Neugier war stärker. Lautlos schlich er ein paar Schritte näher an den Fremden heran.
    Und die Erkenntnis traf ihn wie ein Blitzschlag.
    Es war Bruder Cuthbert.

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12
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    »Ich, der Presbyter Johannes,
der Herr der Herren,
übertreffe alle unter dem Himmel Wandelnden
an Tugend, Reichtum und Macht.«
    Brief des Johannes Presbyter, 35 – 37
    »Meister …?«
    Die Gestalt in der Bank regte sich.
    Langsam erhob sie sich und wandte sich um – und tatsächlich sah sich Rowan jenem Mann gegenüber, den er nie wieder zu sehen geglaubt hatte.
    »Meister!«
    Mit drei, vier großen Schritten sprang er auf Bruder Cuthbert zu und schloss ihn im Überschwang der Gefühle in die Arme. Der alte Benediktiner stand einen Augenblick wie versteinert und schien über die Anwesenheit seines Schülers nicht weniger überrascht. Dann erwiderte er die Umarmung und drückte ihn an sich wie einen verlorenen Sohn, der unverhofft zurückgekehrt war.
    »Mein lieber Junge«, sagte er leise und mit bewegter Stimme. »Meine Gebete, dass es dir gut gehen möge, wurden erhört. Aber was, bei allen Heiligen, tust du hier?«
    Rowan löste sich aus der Umarmung, unfähig, etwas zu sagen. Mit vielem hatte er hier gerechnet, aber nicht damit, seinem totgeglaubten Meister zu begegnen. »Es ist ein Wunder«, sagte er voller Überzeugung und bekreuzigte sich dabei. »Ein Wunder unseres Herrn.«
    »Das ist es.« Bruder Cuthbert kam nicht umhin es zuzugeben, und über seine gütigen Züge huschte jenes jungenhafte Lächeln, das Rowan so vermisst hatte. »Wie hast du mich gefunden?«, wollte er wissen. »Und wo ist Cass…?«
    Er kam nicht dazu, den Satz zu Ende zu sprechen, denn in diesem Moment flog die Tür zur Kapelle auf, und mehrere Wachen erschienen, die Waffen in ihren Händen feindselig gesenkt.
    Rowan, überglücklich, seinen Meister wiedergefunden zu haben, war nicht gewillt, ihn sich wieder nehmen zu lassen. Schützend stellte er sich vor ihn, die Hände zu Fäusten geballt, und blickte den Wächtern grimmig entgegen.
    »Ich danke dir, mein Junge«, raunte Cuthbert ihm zu, »aber dein heldenhaftes Opfer wird nicht nötig sein.«
    Er klopfte Rowan anerkennend auf die Schulter, dann löste er sich aus seinem Schatten und trat den Wachen entgegen – und zu Rowans größter Verblüffung sprach er mit ihnen!
    Es war nicht die fremdartige Sprache, in der sich die Fremden untereinander verständigten (obwohl Rowan hier und dort ein paar Brocken davon zu erkennen glaubte), sondern Griechisch, das er allerdings kaum beherrschte. Die Soldaten hingegen schienen zu verstehen, denn sie ließen ihre Waffen sinken, und der erbitterte Ausdruck verschwand aus ihren Zügen.
    »Ihr … Ihr könnt Euch mit ihnen verständigen?«, fragte Rowan verblüfft.
    »In der Tat«, stimmte Cuthbert zu. »Ihre eigentliche Sprache ist mir unbekannt, doch habe ich festgestellt, dass die meisten von

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