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Das verschollene Reich

Titel: Das verschollene Reich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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um sich dem nächsten Gegner zu stellen. Doch der Kampf war bereits zu Ende.
    Wer noch auf beiden Beinen stand, der ergriff schreiend die Flucht, der Rest der Wegelagerer lag erschlagen im eigenen Blut oder versuchte, bäuchlings zurück ins Dickicht zu kriechen. Gaumardas, der völlig außer sich war, wollte ihnen nach, um, wie er lauthals hinausschrie, jeden Einzelnen von ihnen seiner gerechten Strafe zuzuführen, doch Mercadier hielt ihn zurück – sie hatten Wichtigeres zu tun.
    »Woher hast du es gewusst?«, wollte er von Kathan wissen, als sie ihren Weg durch die Schlucht fortsetzten.
    »Ich wusste es nicht«, versicherte Kathan. »Es war nur …«
    »Was?«
    »Eine Ahnung.«
    »Eine Ahnung, ich verstehe.« Mercadier blickte ihn vielsagend an. Unter dem Kinnschutz seiner Kettenhaube zeichnete sich ein genüssliches Grinsen ab. »Falls du auf einen endgültigen Beweis dafür gewartet hast, dass das Mädchen eine Hexe ist, Bruder – nun hast du ihn bekommen.«

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    »Unser Land ist die […] Wohnstätte der Elefanten und Dromedare, der Kamele und Krokodile.«
    Brief des Johannes Presbyter, 51 / 52
    Handelsstation Abu Kemal
4. März 1187
    Das erste Ziel der Reise hatten sie erreicht. Die am Ufer des Euphrat gelegene Siedlung Abu Kemal bestand im Wesentlichen aus Karawansereien, Lagerhäusern und Herbergen sowie einem großen Markt, auf dem die Waren und Güter umgeschlagen wurden, die aus allen Himmelsrichtungen eintrafen, sowohl über die Karawanenwege zu Land als auch über den Fluss, der sich als unentwegt mäanderndes, bald verengendes und bald verbreiterndes, in allen Grünschattierungen schimmerndes Band durch die ebene Landschaft zog. Jenseits davon erstreckte sich das fruchtbare Zweistromland, in dem einst die Väter von Ur gewohnt und die Babylonier ihren Turm errichtet hatten im frevlerischen Bestreben, Gott gleich zu sein.
    In Abu Kemal trafen die verschiedensten Hautfarben, Sprachen und Religionen zusammen. Hier war es auch gewesen, wo Cassandra vor etwas mehr als drei Monden von den Sklavenjägern aufgegriffen und nach Westen gebracht worden war. Die Vermutung, dass sie auf dem Sklavenmarkt von Damaskus verkauft werden sollte, lag nahe, und niemand im Königreich hätte dann wahrscheinlich jemals von ihr erfahren; doch einer der Menschenhändler hatte sie nach Jerusalem gebracht, wohl im Bestreben, einen noch höheren Preis für sie zu erzielen, und so war alles anders gekommen. Aus einer rechtlosen Sklavin ohne Vergangenheit war die Hoffnungsträgerin für die Zukunft des Königreichs geworden.
    Sollte dies tatsächlich nur einer Laune des Schicksals zuzuschreiben sein? Oder hatte Königin Sibylla recht, wenn sie annahm, dass eine Fügung des Allmächtigen dafür verantwortlich war? Waren es nicht höchst erstaunliche Zufälle, die sich hier aneinanderreihten? Wurden sie alle womöglich Zeugen von etwas so Großem und Bedeutendem, dass der Herr selbst darin wirkte? Waren sie womöglich dabei, wenn ein neues Kapitel der Geschichte aufgeschlagen wurde, wenn ein neues Zeitalter begann?
    Rowan ertappte sich dabei, dass ihm der Gedanke gefiel, auch wenn er so manchem widersprach, das er sich über die Jahre eingeredet hatte. Natürlich hatte er seine früheren Meister vom Willen des Allmächtigen reden hören, doch hatte er stets das Gefühl gehabt, dass es vor allem ihr Wille war, der sich darin spiegelte. An die Macht zielgerichteter Bestimmung hatte er, der schon als Kind Opfer reiner Willkür geworden war, nie wirklich glauben können. Nun jedoch hatte er zum ersten Mal das Gefühl, dass sein Leben eine Richtung und eine Bedeutung haben könnte.
    Ihm war klar, dass Bruder Cuthbert darüber nur gelächelt hätte. Der alte Fuchs, der sich in so vieler Hinsicht von Rowans vorangegangenen Meistern unterschied, war der Ansicht, dass Vorsehung etwas war, das sich die Menschen einbildeten, weil es ihren Zwecken diente. Für ihn als Mann der Wissenschaft hatte vor allem das Gültigkeit, was sich beweisen ließ – und das war, auf ihre Mission bezogen, wenig genug.
    Seit sie Jerusalem verlassen hatten, hatte Cuthbert stets darauf hingewiesen, dass ihre wahre Suche erst in Abu Kemal beginnen würde. Nun hatten sie jenen Ort erreicht, entsprechend gespannt war Rowan darauf, wie sein Meister nun weiter verfahren würde.
    Zunächst war alles wie immer.
    Nachdem die Karawane Abu Kemal erreicht hatte, nahmen zunächst die Dinge des täglichen Bedarfs die Aufmerksamkeit der Gefährten in Anspruch, von

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