Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Verschwiegene: Roman (German Edition)

Das Verschwiegene: Roman (German Edition)

Titel: Das Verschwiegene: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linn Ullmann
Vom Netzwerk:
Er erinnerte sich, dass er ihren Kopf fest auf das Kopfkissen gedrückt hatte, damit sie von dem starrenden Hund nicht gestört wurde, und dass er so unauffällig wie möglich versucht hatte, Leopold ein Zeichen zu geben, damit er sich entfernte, von Mann zu Mann gewissermaßen, aber Leopold war kein Mann, Leopold war ein Hund, und Leopold entfernte sich nicht und hörte auch nicht auf zu starren, er blieb einfach stehen, den Kopf auf der Bettkante, die Ohren gespitzt, mit traurigem Hundeblick, und schließlich musste sich Jon aus ihr herausziehen, aus Paula Krohn, und sich ausdrücklich entschuldigen – sie war wohl kurz davor gewesen zu kommen – und Leopold ins Bad sperren.
    Jon sah Siri an. Sie wurde immer roter. Sie sah aus wie ein Kind, das gerade lesen gelernt hatte. Aufrecht stand sie da, hellrot im Gesicht, und deklamierte Worte, die er vermutlich geschrieben hatte. Ohne Betonung, ohne Satzmelodie, ohne Einfühlungsvermögen. Sie ließ kein Wort aus, nur die Zeichensetzung fehlte: Kommata, Gedankenstriche, Klammern, Punkte.
    Ich denke daran wie es wäre nur du und ich frühmorgens vormittags nachmittags abends nachts und ich denke an alles was du bist und an alles was du mir zeigen kannst und an alles was ich mit dir machen will du fragst ob ich unglücklich bin ob mich der Gedanke an dich unglücklich macht aber allein zu wissen dass es dich gibt macht mich glücklich ich sehe dein Gesicht vor mir deine Haare deine Augen dein Licht deine Brüste deinen Bauch die weiche Haut aber die Situation ist wie sie ist und vielleicht macht sie mich unglücklich ich denke morgens vormittags nachmittags abends und nachts an dich aber ich kann nur in Gedanken bei dir sein weil ja du weißt schon weil.
    Siri zitterte.
    »Okay?«, sagte sie. »Wer ist sie?«
    Paula Krohn war eine Leserin. Aber das konnte er nicht sagen. Das klang zu bescheuert. Eine begeisterte Leserin. Sie war im Künstlerhaus zu ihm nach vorn gekommen und hatte irgendwas zu seinen Büchern gesagt, und dann hatte sie geflüstert: Wissen Sie, dass Sie eine ganz besondere Wirkung auf Frauen haben?
    Ja, mein Gott, was sollte er machen? Er hatte gerade gehen wollen, blieb aber noch eine Weile. Sie tranken eine Flasche Wein. Vielleicht auch zwei. Sie trank mehr als er. Am nächsten Tag schickte sie ihm eine Mail und schrieb, ihre Begegnung habe sie sehr beeindruckt . Ja, so war es gewesen. Sie hatte ihm erzählt, dass sie eine offene Ehe führte, mit anderen Worten, sie war zugänglich, eine Möglichkeit, sie stand ihm offen und war außerdem beeindruckt und ganz hübsch. Zumindest fand er sie am ersten Abend ganz hübsch, und je mehr Rotwein er trank, umso hübscher wurde sie. Und dann hatten sie angefangen, sich Mails zu schicken, und als er mit Leopold einige Wochen später nach Slite fuhr, um Siri zu besuchen, rief er von unterwegs Paula an und schlug vor, sich in einer knappen Woche in Örebro zu treffen.
    »Jetzt kannst du vielleicht die Wahrheit erzählen«, sagte Siri.
    Sie hatte sich aufs Bett gesetzt und die Arme um sich gelegt, um das Zittern zu beenden.
    Jon wählte seine Worte mit Bedacht, musste sich aber eingestehen, dass er trotzdem wie ein Linguaphone-Kurs klang. Und auch Siri klang wie ein Linguaphone-Kurs.
    Hello my name is Jon. What is your name? My name is Siri. Would you like something to drink? Yes, please, I would like a glass of cold water.
    »Es hat nichts bedeutet.«
    »Was genau hat nichts bedeutet?«
    »Paula Krohn. Sie hat mir nichts bedeutet.«
    »Seid ihr noch zusammen?«
    »Nein, nein, nein, Siri, es war nur eine Nacht, eine einzige Nacht, und es ist lange her. Viele Jahre. Das ist alles. Es hat nichts bedeutet. Es ging daneben.«
    »Wann?«
    »Du erinnerst dich vielleicht«, sagte er vorsichtig, »dass wir Sofia in Slite besucht haben? Wir hatten Leopold dabei, erinnerst du dich? Und darum hatten wir beschlossen, dass ich mit dem Auto fahre und du das Flugzeug nimmst. Du erinnerst dich vielleicht, dass ich in Örebro übernachtet habe. Dort habe ich sie getroffen. In Örebro im Hotel. Sie ist dorthin gekommen. Wir waren zusammen. Aber es ging daneben. Sobald ich sie sah, wusste ich, dass es nicht klappen würde. Sie war dick und hatte einen kleinen Oberlippenbart.«
    »Wie oft?«
    »Einmal, habe ich doch gesagt. Es ging völlig daneben.«
    »Und du hattest Leopold dabei. Hat er alles gesehen?«
    Jon seufzte.
    »Es hat nichts bedeutet.«
    »Und ihr wart in der ganzen Nacht nur einmal zusammen? Willst du das sagen? Und das

Weitere Kostenlose Bücher