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Das Verschwiegene: Roman (German Edition)

Das Verschwiegene: Roman (German Edition)

Titel: Das Verschwiegene: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linn Ullmann
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nicht, was ich tun soll, Siri.«
    »Ich komme heute Abend nach Hause«, antwortete sie.
    Sie schaute noch einmal auf das weiße Beet.
    »Und dann regeln wir das Ganze. Okay?«

J enny sagte:
    Ich bin geschrumpft, ich bin viel dünner und eingefallener als früher, und ich bin immer eine schlanke Frau gewesen, aber niemals eingefallen, doch jetzt bin ich dünn und eingefallen und muss mir eine Schnur um die Taille binden, damit der Rock nicht rutscht. Siehst du, Siri? Du bist doch Siri, oder? Der Rock muss mit einer Schnur gehalten werden.
    Sieh dich um. Ich erkenne das Haus. Ich erkenne die Wände und das Zimmer und das geschlossene Fenster dort. Aber manchmal frage ich: Wer wohnt hier eigentlich? Und dann antworten alle: Aber du wohnst doch hier, Jenny Brodal.
    Wenn du älter wirst, dann wirst du feststellen, wie die Worte verschwinden. Und die Erinnerungen. Und schließlich der Körper. Ich muss meinen mit einer Schnur zusammenhalten.
    Am liebsten würde ich gehen. Ich will nicht länger hierbleiben. Ich mag die große Frau nicht. Weißt du, wer sie ist? Sie ist anmaßend. Hast du sie gebeten, hier zu sein? Glaubst du, dass ich nicht selbst auf mich aufpassen kann? Du bist doch Siri, oder? Kannst du mir nicht meine Schuhe holen? Im Schrank habe ich weiße Turnschuhe, Größe 38. Schöne Schuhe sind das. Du weißt, wo sie stehen? Kannst du sie holen?
    Früher hatte ich ein Foto von Abebe Bikila, dem Olympiasieger im Marathon, er hatte die gleichen Schuhe wie ich. Das erste olympische Gold hat er in Rom geholt, damals lief er barfuß. Das war 1960. Das nächste Mal lief er mit Schuhen. Und gewann erneut. Das war im Sommer 1964 in Tokio. Zweimal wurde er Olympiasieger! Einmal barfuß. Einmal mit Schuhen. An solche Sachen erinnere ich mich.
    Es gibt einiges, was ich gern noch sagen würde. Krieg ist ein Jammer . Das hat meine Mutter immer gesagt. Vielleicht war es aber auch jemand anderes, und sie hat es nur ewig wiederholt. Ich glaube, so war es. Nur wenige Worte bleiben zurück, alles andere verschwindet. Ich sage zu dir: Krieg ist ein Jammer , und ich sehe Mutters Gesicht vor mir.
    Aber wir wollten nicht über meine Mutter reden. Ich wollte dir von deinem kleinen Bruder erzählen. Er hieß Syver und hat vier Jahre gelebt. Jeden Morgen werde ich wach, und für einen kurzen Augenblick, nein, es dauert nicht einmal einen Augenblick, weiß ich überhaupt nichts. Und dann fällt mir alles wieder ein. Du wirst merken, wie die Worte verschwinden. Ich habe es versucht. Ich habe vor Jahren eine Rede für dich geschrieben, die ich halten wollte. Wir hatten ein Fest im Garten, und nette Menschen waren gekommen und prosteten sich zu und unterhielten sich freundlich. Ich weiß nicht, wo sie abgeblieben ist. Die Rede, meine ich. Aber ich weiß, dass sie irgendwo sein muss. Man muss sie nur suchen. Du musst sie nur suchen.

I m Juni 2010 fuhren Jon und Siri ein paar Tage nach Mailund, um das Nebengebäude aufzuräumen. Die Vorbereitungen für Jennys nahenden Tod und die Abwicklung des Hauses hatten begonnen. Irma wollte keinen von ihnen sehen und verschloss die Tür.
    »Jenny will euch hier nicht haben«, fauchte sie. »Ihr stört.«
    So war es, manchmal durfte Siri durch die Tür, manchmal nicht. Entscheidend war, dass sie nicht aufgaben, dass sie da waren , meinte Siri, darum zogen sie sich ins Nebengebäude zurück. Irma hatte das kleine Haus anscheinend in ein Lager verwandelt: zwei Fahrräder, ein paar Bücherkisten und drei Korbsessel standen mitten im Zimmer, eine Deckenlampe in der Form eines riesengroßen lächelnden Monds lag auf dem schmalen Bett. Jon trug alles in die Garage, in der Jennys grauer Opel stand, er war mit einer Plane bedeckt. Das Auto mit einer Plane abzudecken, wenn es in der Garage stand, hatte irgendwie etwas Altmodisches an sich, etwas Rührendes. Die schwindende Kunst, sein Eigentum zu hegen und zu pflegen.
    Das Handy in Jons Hosentasche meldete den Eingang einer SMS , Jon schaute nach, das grüne Display leuchtete im Halbdunkel der Garage.
    Sie war das Liebste, was wir hatten, Jon. Ich weiß nicht, ob Sie sich vorstellen können, wie es ist, sie verloren zu haben. A.
    Verdammt.
    Als Jon von seinem letzten Gang zur Garage zurückkehrte, hatte Siri eine Kerze angezündet und drehte an dem kleinen Reiseradio auf der Suche nach passender Musik. Er wollte sich gerade aufs Bett setzen, da fiel ihm die Schnecke ein, die er damals unter der Decke gefunden hatte. Die Sache schien lange her. Ihm graute davor,

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