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Das Verschwiegene: Roman (German Edition)

Das Verschwiegene: Roman (German Edition)

Titel: Das Verschwiegene: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linn Ullmann
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die anderen Spielsachen und räumte sie in den Garderobenschrank im zweiten Stock, und danach war ihr Zimmer groß und leer und still und bot viel Platz für das Puppenhaus und die Puppensachen, und manchmal saß sie stundenlang da und spielte, bevor Jenny sie fand.
    Einmal, nachdem Siri längst erwachsen geworden war, sagte sie zu Jon: Ich weiß, dass sie mich zur Welt gebracht hat, zwei Tage und zwei Nächte hat es gedauert, das habe ich in ihrem Tagebuch gelesen, aber sie hat immer gesagt, Vater müsse vor meiner Geburt fremdgegangen sein, und bestimmt sei diese Frau meine eigentliche Mutter – ich könne unmöglich ihre Tochter sein.
    Und jetzt saß sie zusammengesunken im Rollstuhl, ihr großer Kopf hing herunter, das Kinn ruhte auf der Brust, der Mund stand halb offen. Bald würde sie kaputtgehen, auseinanderbrechen. Siri ging ganz dicht an sie heran, sprach mit ihr.
    »Wie geht es dir, Mama?«
    Sie bekam keine Antwort. Manchmal, wenn Jenny so dasaß, still und regungslos, hielt Siri ein Ohr an ihren Mund, um sicherzugehen, dass sie noch atmete. Jenny war nicht tot. Aber sie war auch nicht lebendig.

D er April näherte sich seinem Ende, und Siri hatte einen Stuhl in den Garten von Mailund gestellt und sich unter den großen morschen Ahornbaum gesetzt. Jon war in Oslo. Er hatte sie direkt nach dem Termin mit Gerda angerufen.
    »Demütigend«, sagte er, »verfluchtes Miststück, verfluchter Verlag, ich rufe sofort bei Gyldendal an, weißt du noch, dass Erlend gesagt hat, bei Gyldendal wäre ich jederzeit willkommen?«
    »Das ist fünf Jahre her«, sagte Siri leise.
    »Scheiße, Siri, fängst du jetzt auch noch damit an!«
    »Ich habe nur gesagt, dass es lange her ist, seit du mit Erlend darüber gesprochen hast, dass du zu Gyldendal wechseln könntest – und dass es jetzt nicht so wichtig ist, den Verlag zu wechseln, sondern das Buch zu Ende zu schreiben.«
    »Du verstehst nicht …«, sagte Jon. »Du begreifst es nicht!«
    »Was hat Gerda denn genau gesagt?«, fragte Siri vorsichtig.
    Sie sah zu dem weißen Beet. Es hielt noch Winterschlaf, leuchtete nicht, wogte ihr nicht entgegen. Sie fragte sich, was nach dem Tod ihrer Mutter mit Mailund geschehen sollte? Sollte sie es verkaufen? Sollten sie und die Kinder und Jon es weiterhin als Ferienhaus nutzen?
    Am anderen Ende war es still.
    »Jon? Bist du noch dran?«
    Sie dachte daran, wie sehr ihm vor dem Termin mit Gerda gegraut hatte, davor, ihr erzählen zu müssen, dass er schon wieder festhing. Ihm hatte davor gegraut, um einen weiteren Aufschub zu bitten und vielleicht um einen kleinen Vorschuss. Sie konnten nicht länger nur von den Restauranteinnahmen leben, der Bankkredit war astronomisch, und dieses Jahr hatte Jon auf alle Stipendiumsbewerbungen Absagen erhalten. Sie hatte es ihm schon gesagt. Siri hatte ihm gesagt, dass er sich nach anderen Möglichkeiten umsehen müsse, Geld zu verdienen.
    »Jon, was hat Gerda gesagt?«
    Sie hörte ihn schwer atmen.
    »Gerda hat gesagt, ich sollte das Buch eine Weile weglegen und mich auf etwas anderes konzentrieren. Mir vielleicht eine Arbeit suchen – als würde ich nicht die ganze Zeit arbeiten! Sie hat gesagt, ich müsste Geld verdienen wie andere Menschen auch. Ich könnte von Verlagsseite nicht länger mit finanzieller Unterstützung rechnen. Sie hat gesagt, das Buch wird erscheinen, wenn es so weit ist, sie wird es aber nicht auf die Herbstliste setzen. Sie hat gesagt: Ich habe seit einem Jahr keinen neuen Text gesehen. Sie hat gesagt: Sieh der Wahrheit ins Auge, Jon. Das Buch kommt nicht im September, es kommt nicht im November, ich bin nicht länger Teil ihrer Pläne. Ja. Und dann musste sie gehen. Sie war zum Mittagessen verabredet. Dabei hatte ich gedacht, ich sei ihre Essensverabredung. Sie stand einfach auf und wiederholte, dass es an der Zeit sei, der Wahrheit ins Auge zu sehen.«
    »Und was hast du darauf gesagt?«
    »Ich habe gesagt: Was soll das heißen, verdammt noch mal? Ich habe sogar angefangen zu heulen.«
    »Wie viel Geld schuldest du ihnen eigentlich, Jon?«
    »Über eine Million. Vielleicht auch mehr. Keine Ahnung. Gerda wollte mir eine Übersicht schicken.«
    »Sie … Gerda hat doch gesagt, dass sie das Buch herausbringen will, sobald du es zu Ende geschrieben hast. Sie hat gesagt …«
    »Scheiße, Siri, es geht alles den Bach runter.«
    Seine Stimme brach. Sie würde ihm am liebsten eine Hand in den Nacken legen. Ihm sagen, dass sie nicht mehr kann. Ihm den Nacken streicheln.
    »Ich weiß

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