Das Verschwiegene: Roman (German Edition)
bestimmt«, sagte er und strich ihr über den Kopf. »Da bin ich ganz sicher, Siri. Ich glaube, es wird ein tolles Fest!«
A ls ob es Alma interessierte. Als ob es überhaupt jemanden interessierte. Als ob es Oma, die ja die Hauptperson war, interessierte. Oma wollte ihren Geburtstag gar nicht feiern. Aber man konnte Mama ICH WILL NICHT ins Gesicht schreien, und Mama machte weiter, als wäre nichts geschehen. Mama wollte dieses Fest haben, und damit basta.
Sich aufschlitzen. Sich ritzen. Sich schneiden. Sich gegen die Wand werfen. Alma hielt sich die Hände vors Gesicht. Das wäre übertrieben. Sie sah Jon mit Leopold im Schlepptau die Straße hinuntergehen. Wo wollte er bloß hin? Den Berg hinunter. Nach unten.
Oma sagte: »Alma, heute Abend verduften wir. Mitten im Fest. Wir nehmen das Auto und verduften, nehmen zwei Liegestühle mit, etwas Proviant und Limonade und setzen uns an den Strand, schauen auf das Meer, und je dichter der Nebel ist, je mehr es regnet, umso besser.«
»Dann werden wir ganz schön nass werden«, sagte Alma.
»Wir nehmen Regenschirme mit, befestigen sie an den Liegestühlen und tun so, als wären es Sonnenschirme«, sagte Jenny, »und dann sitzen wir beide unter unseren Sonnenschirmen und lassen den Sturm heranziehen.«
J enny machte die zweite Flasche auf und fluchte, weil es ihr nicht gelungen war, diese idiotische Feier zu verhindern, die Siri – gegen den Willen aller – angeleiert hatte. Und jetzt hatte sie nur noch eine Stunde, bis es losging. Wer waren all die Menschen, die kommen sollten? Jenny wollte nicht. Irma wollte nicht. Aber Siri hatte nicht auf sie gehört.
»Natürlich sollst du feiern«, sagte Siri. »Natürlich sollst du gefeiert werden, Mama!«
Jenny nahm einen Schluck und sah aus dem Fenster. Sie ließ den Blick auf dem jüngeren Enkelkind ruhen, der kleinen Liv mit den hellen zotteligen Haaren. Dann wanderte ihr Blick weiter zu dem jungen, mondschönen Teenager, dessen Namen sie sich nicht merken konnte. Konnten Jon und Siri nicht selbst auf ihre Kinder aufpassen?
Es wurde immer dunkler, während sie dort stand und hinausschaute, schmatzend genoss sie den Wein, versuchte, den Nebel anzulocken, sich darin aufzulösen, mit ihm zu verschmelzen.
»Sie heißt Mille«, hatte Siri gesagt. »Sie wird aber auch Sweet Pea genannt.«
»Sweet was?«
»Sweet Pea.«
Das Gras war geschnitten, das Haus geputzt. Irma hatte sieben Tage lang auf allen vieren gelegen und die breiten Holzdielen mit Schmierseife geschrubbt. In der Woche davor hatte sie sich die Decken und Wände vorgenommen. In der Woche vor dieser Schränke und Schubladen. Die Fenster hatte sie Siri überlassen.
Jenny schüttelte den Kopf. Das ganze Gerede über die Liebe.
Irma war eine angenehme Mitbewohnerin. Sie meckerte nicht. Kümmerte sich um die praktischen Dinge, nachdem Ola zu alt geworden war. Die Instandhaltung des Hauses. Das Rasenmähen. Und Irma ließ sie in Ruhe, das war das Wichtigste.
Jenny blieb am Fenster stehen und schaute hinaus.
Irma hatte im Garten Biertische aufgestellt, und auf den Tischen lagen gebügelte weiße Tischdecken, die Siri herein-, hinaus- und wieder hereingetragen hatte, um sie erneut hinauszutragen, damit sie im Regen nicht nass wurden, und auf den gebügelten weißen Tischdecken standen Glasvasen mit Blumen, die Liv und Alma und Mille auf der Wiese hinter dem Haus gepflückt hatten. In den Bäumen hingen Lampions, und das war gut so, denn obwohl es Sommer war mit hellen Nächten, rollte der Nebel heran und wurde immer dichter, je näher der Abend kam.
Der Nebel vermischte sich mit dem Duft der verschiedenen Leckereien, die Siri in der Küche zubereitet hatte, und kroch zwischen Weinflaschen, Tellern, Besteck und Gläsern hindurch, die auf dem großen, weiß eingedeckten Tisch unter den Apfelbäumen standen, kroch durch Schlitze unter den Türen und an den Fenstern, zog durch Schlafzimmer und Stuben und die Küche wieder hinaus in den Garten und über die Wiese hinter dem Haus, auf der Liv und Alma und Mille Blumen gepflückt hatten, wobei Liv den Nebel nicht beachtet hatte, obwohl er sie beachtete, und kaum hatten sie und Alma und Mille einen ganzen Eimer mit Wiesenblumen gefüllt, hatte es zu nieseln begonnen, und der Nebel vermischte sich nun mit dem Duft von Regen und Sommerabend und Jennys L’Air du Temps, denn jetzt war das Geburtstagskind bereit, die Treppe herunterzukommen und seine Gäste zu empfangen, und allmählich verschmolz der Nebel mit dem Licht der
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