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Das Verschwiegene: Roman (German Edition)

Das Verschwiegene: Roman (German Edition)

Titel: Das Verschwiegene: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linn Ullmann
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ansehen, dass sie es nicht dabei belassen würde. Er wusste nicht, was genau kommen würde, was Siri dieses Mal an Mille störte, aber irgendetwas würde kommen. Alma verfolgte das Ganze mit Interesse. Jon drückte Siris Hand ganz fest. Sag’s nicht. Siri zwang sich zu einem Lächeln und zeigte auf die Blume in Milles Haar. Sie konnte es nicht lassen.
    »Aber weißt du, es wäre mir lieber, du würdest keine Blumen aus dem Garten nehmen. Die weiße Pfingstrose in deinen Haaren – stammt aus meinen Beeten. Du zerstörst, verstehst du?«
    »Oh«, sagte Mille und sah zu Boden. Ihre Hand begann zu zittern. »Das wusste ich nicht.«
    »Lass sie in Ruhe«, sagte Jon.
    Mille schaute ihn an und lächelte. Lass sie in Ruhe, hatte er gesagt.

A ber niemand sah Milles Gesicht viele Stunden später, als der Junge, den sie KB nannten, ihren Kopf in den Splitt drückte. Seine Hand war feucht und hart, sein Atem kalt.
    »Der ist für dich«, flüsterte er. Er zwang sich von hinten in sie hinein und schlitzte sie auf.
    Sie wollte ihn gar nicht haben, aber sie konnte sich nicht umdrehen, konnte nicht den Kopf schütteln, konnte mit dem Mund voller Splitt nicht deutlich sprechen.
    »Du willst ihn nicht, sagst du«, sagte er.
    Und Jennys Gäste kreisten im Garten, versuchten, einen kleinen weißen Teller in der einen Hand und ein Weinglas in der anderen zu balancieren, wiegten sich zur Musik, lachten laut über eine Bemerkung, die jemand machte, gingen allein zu der Wiese, von der am selben Nachmittag Blumen gepflückt worden waren, Glockenblumen, Wiesenkerbel, Margeriten, Butterblumen, Trollblumen, Wiesenklee, Weidenröschen und Storchschnabel, und ein paar Gäste standen still, sahen zum Himmel und unterhielten sich darüber, ob es nicht doch bald in Strömen gießen würde.

III
Sweetheart like you

S ie überlegte, die Feier nicht zu verlassen, überlegte zu bleiben, auch wenn die meisten Gäste hundert waren und sich bald im Nebel auflösen würden. Mille schaute sich nach Jon um, begegnete stattdessen Siris Blick. Siri stand allein unter einem Baum. Siri stand oft so da, allein und in Gedanken. Sie trug ein langes, hellblaues Kleid, ein altes Seidenkleid, das einmal Jenny gehört hatte. Viele fänden Siri sicher hübsch , hätte Mille womöglich ihren Freundinnen erzählt, hätte sie lange genug gelebt, um ihnen die Fotos von diesem Sommer zu zeigen. Wobei Mille selten ihre Fotos herzeigte, sie behielt sie gern für sich. Sie legte heimlich Erinnerungsalben an und war stets auf der Suche nach schönen, großen Skizzenbüchern mit festem Umschlag und dicken, weißen, unlinierten Blättern, die sie mit Fotografien, Zeichnungen, Zitaten und Liedtexten, Tagebucheinträgen, getrockneten Blättern, Blumen und Gräsern füllen konnte. Mille war in der Welt noch nicht sehr weit herumgekommen (bis jetzt!), aber der Plan für die kommenden Jahre war, weit zu reisen, vielleicht nach Australien, und egal wo sie sich auf der Welt befand, wie dicht an zu Hause oder wie weit weg sie war, sie rupfte immer ein kleines Grasbüschel aus der Erde, klebte es in ihr Erinnerungsbuch und schrieb das Datum und den Ort darunter.
    Mille fotografierte gern Menschen, denen nicht bewusst war, dass sie fotografiert wurden, und auch diese Bilder klebte sie in ihr Album.
    Sie hatte viele Aufnahmen von Siri gemacht. Siri war dunkelhaarig und schlank, zerbrechlich und stark zugleich. Sie war groß und etwas schief, und ihr Mund war breit und voll.
    Einmal lag Siri im Korbsessel in dem großen Garten und schlief. Mille kam gerade vom Strand zurück, sie trug eine große Wassermelone, die sie auf dem Markt gekauft hatte und die sie aufschneiden und mit Liv teilen wollte, die um sie herumhüpfte und -tanzte und dabei sang: Wir essen eine Wassermelone, wir essen eine Wassermelone, wir essen eine Wassermelone, wenn der Tag anbricht.
    »Psst«, sagte Mille und zeigte auf Siri im Korbsessel. »Deine Mama schläft!«
    »Mama schläft«, flüsterte Liv.
    »Kannst du auf die Wassermelone aufpassen«, fuhr Mille fort und legte die Wassermelone vorsichtig auf die Erde. »Kannst du dich hier ins Gras setzen und auf die Wassermelone aufpassen? Ich muss noch etwas erledigen.«
    »Was musst du noch erledigen?«, flüsterte Liv.
    »Psst, weck deine Mama nicht«, antwortete Mille leise und legte den Finger auf die Lippen. »Das ist eine Überraschung. Schließ die Augen und zähl leise bis zwanzig, dann gehen wir in die Küche und schneiden die Wassermelone auf.«
    »Was ist die

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