Das Verschwiegene: Roman (German Edition)
Überraschung?«, rief Liv.
»Psst, psst. Das kann ich nicht sagen, dann ist es keine Überraschung mehr. Aber du musst ganz still im Gras sitzen und auf die Wassermelone aufpassen und leise bis zwanzig zählen – und vielleicht hat die Überraschung etwas mit Eis zu tun.«
Liv setzte sich ins Gras, kniff die Augen zu und flüsterte: »Eins, zwei, drei, vier …«
Mille nahm das Handy, das in ihrer kurzen Hose steckte, schlich zum Korbsessel, auf dem Siri schlief, beugte sich über sie und knipste ein Foto. Sie schaute sich das Foto an, schaute Siri an. Siri wurde nicht wach. Mille knipste noch ein Foto. Und noch eins. Siri hatte sich mit einer dünnen Decke zugedeckt, die heruntergerutscht war. Sie schlief fest, aus dem offenen Mund rann Speichel. Mille steckte das Handy wieder in die Hosentasche, nahm die Decke hoch und breitete sie über Siri.
» … vierzehn, fünfzehn, sechzehn, siebzehn …« Liv machte die Augen auf und rief leise: »Kann ich jetzt aufhören zu zählen, Mille?«
Mille drehte sich zu dem Mädchen im Gras und sagte, sie könne aufhören zu zählen, denn jetzt würden sie die Wassermelone essen.
»Und Eis!«, schrie Liv.
»Und Eis«, flüsterte Mille und legte wieder den Finger auf die Lippen. »Denk dran, nicht die Mama zu wecken. Lass die Mama schlafen.«
Siri war immer kurz davor, sich über Mille aufzuregen – und dann bereute sie es und versuchte, nett zu ihr zu sein. Und wenn sie es bereute, durfte sich Mille Dinge von ihr leihen, zum Beispiel den roten Seidenschal, der so gut zu dem roten Kleid passte.
Mille wünschte sich zwar, dass Siri sie mochte, aber sie war für Siri nicht gut genug. Es war nicht Milles Schuld, dass Jon manchmal lieber mit ihr redete als mit Siri oder dass Liv und Alma lieber mit ihr zusammen waren. Siri war immer so böse. Alma hatte erzählt, alle Köche seien böse. Vor allem wenn sie in Frankreich ihre Ausbildung gemacht hatten. So war es einfach.
Aber die Hähnchenspieße waren ausgesprochen lecker. Ursprünglich sollte es Spanferkel geben, das hatte Siri geplant, sie hatte eine Vision gehabt, wie das Fest aussehen sollte, das sie auszurichten gedachte, aber niemand hatte ihre Vision gewollt. Daraufhin war sie noch böser geworden. Mille hatte vor dem Fest heimlich mehrere Hähnchenspieße gegessen, hatte hier ein paar und dort ein paar aus dem Kühlschrank genommen und sie im Ofen aufgewärmt, nachdem alle schliefen.
»Was ich jetzt mache, Mama, sind Hähnchenspieße mit Satay-Soße«, sagte Siri mit schriller Stimme. Sie stand in der großen alten Küche und schwitzte in der Hitze, ihre halblangen Haare waren mit einer hübschen alten Spange locker hochgesteckt. (Mille wünschte sich eine solche Spange.)
Mille befand sich hinter der Tür, die einen Spaltbreit offen stand, und verfolgte die Szene in der Küche. Sie hatte vor, für Liv und Alma einen Krug mit Saft zu holen, wollte sich aber nicht in der Küche zeigen, wenn Siri, Irma und Jenny darin waren.
Jenny stellte sich an die Wand und verschränkte die Arme. So blieb sie eine Ewigkeit stehen und beobachtete Siri, ohne ein Wort zu sagen. Irma saß auf einem Küchenstuhl und kicherte. Unter der Oberlippe hatte sie eine dicke Kugel Tabak.
Und plötzlich sagte Jenny: » SATAY WAS ?«
Siri zuckte zusammen und drehte sich zu ihrer Mutter um.
»Hähnchenspieße mit Satay-Soße«, sagte Siri. »Das ist ein thailändisches Gericht mit Erdnussbutter und Kokosmilch und …«
Irma schnaubte laut.
»Ich will kein verdammtes thailändisches Gericht«, fiel ihr Jenny ins Wort.
Irma sah Siri an.
»Du hättest auf mich hören sollen«, sagte sie.
»Was?«, fragte Siri verwirrt.
Sie sah zunächst ihre Mutter an, dann Irma.
»Was sagt ihr?«
»Ich will kein verdammtes Gericht«, schrie Jenny.
Irma lachte noch lauter.
»Hörst du, was ich sage, Siri?« Jenny lehnte immer noch an der Wand.
Siri drehte sich mit Tränen in den Augen zu Jenny um.
Wenn sie sich nur trauen würde, wenn sie sich sicher wäre, dort hinter der Tür nicht entdeckt zu werden, überlegte Mille, hätte sie gern in diesem Moment ein Foto von Siri gemacht.
»Ich will kein verdammtes Gericht!«, schrie Jenny. »Ich will kein verdammtes Fest! Ich will keine Spanferkel, und ich will kein Gericht! Ich will überhaupt nichts von dir haben! Ich will das alles nicht!«
Dann stürmte sie auf ihren hohen Absätzen aus der Küche und merkte nicht einmal, dass sie Mille fast über den Haufen gerannt hätte.
Ein paar Tage später, als
Weitere Kostenlose Bücher