Das Verschwiegene: Roman (German Edition)
roten Kleid, das mit dem Mund voll Hähnchenfleisch am Büfett stand und vor sich hin murmelte. Mille schluckte, warf die Haare nach hinten und ging zum Tor am anderen Ende des Gartens. Sie drehte sich ein letztes Mal um und blickte zu Siri, die von Gästen umgeben war. Aber Siri sah Mille nicht. Beachtete sie nicht. Sie überlegte, was Siri wohl sagen würde, wenn sie von ihr und Jon wüsste. Mille zückte das Handy. Konnte sie ihm jetzt eine SMS schicken? Oder sollte sie noch warten? Sie wusste, dass er sich gern mit ihr unterhielt, auch wenn er fast dreißig Jahre älter war, dass es ihm gefiel, wenn sie in sein Arbeitszimmer kam, während er dort saß. Er zeigte ihr gern Dinge. Erzählte gern. Das Puppenhaus und die Puppenmöbel und die Puppen, die einst Siri gehört hatten. Die alten Bücher, die CD -Sammlung.
Mille dachte an den gestrigen Tag. Wie er sie angeschaut, mit ihr gesprochen hatte.
»Störe ich Sie, Jon? Ich wollte nur fragen, ob Sie wissen, wo Livs Sonnencreme ist. Ich kann sie nicht finden und dachte, wir könnten zum Strand gehen, wo doch das Wetter so schön ist.«
Jon schwang auf seinem Schreibtischstuhl herum und schaute Mille an. Er hatte eine ganz eigene Art, sie anzusehen. Seine Augen glitzerten. Sie würde ihm am liebsten sagen, wie cool er aussah. Dass er eine coole Energie ausstrahlte. Oder würde das bescheuert klingen? Schließlich war er Schriftsteller, und sie war unsicher, wie man sich Schriftstellern gegenüber ausdrückte. Sie wollte nicht, dass er sie für dumm hielt, dass er sie für ein kleines Mädchen hielt, das für sein Alter nicht besonders reif war.
»Du störst mich nicht, Mille. Ich langweile mich eher, und zwar gewaltig!«
Er hatte einen Stapel CD s auf dem Schreibtisch liegen. Er nahm eine davon in die Hand, die Dylan- CD , und warf sie ihr zu.
»Die hier ist schön. Die musst du dir anhören.«
»Danke«, sagte Mille. »Vielen Dank.«
Jon gab keine Antwort. Mille blieb stehen.
»Was schreiben Sie?«
Jon schaute weg. Lachte leise.
»Ich schreibe einen Roman, der niemals fertig wird. Es ist mir einfach nicht gegeben, diesen Roman zu Ende zu schreiben.«
»Cool«, antwortete Mille. Sie korrigierte sich. »Ich meine, es ist cool, dass Sie einen Roman schreiben. Es ist nicht cool, dass Sie ihn nicht fertigkriegen. Aber Sie schaffen es bestimmt.«
Jon lachte erneut. Nicht über sie. Das glaubte sie nicht. Er lachte in sich hinein, als wäre sie nicht da, als hätte er plötzlich einen lustigen Einfall. Doch dann begegnete er ihrem Blick und sagte: »Du bist hübsch, Mille, sieh nur, wie hübsch du bist, wie du dort stehst.«
Mille lächelte.
»Ich finde Sie cool«, sagte sie, »Sie haben eine unglaublich coole Energie, und ich bin ganz sicher, dass Sie einen phantastischen Roman schreiben.«
Jon lachte kurz auf, sein Lachen war schwer zu deuten. Mille errötete. Es war bestimmt bescheuert, das mit der coolen Energie zu sagen.
»Dich anzuschauen verleiht mir Energie, Mille«, sagte er, schaute sie aber nicht an.
»Deine Schönheit«, fügte er hinzu. »Dein Licht.«
Jon hatte sich wieder seinem Computer zugewandt. Sie wollte nicht, dass es vorbei war, und sagte: »Ich kann nicht besonders gut schreiben, das konnte ich noch nie, ich habe einfach großen Respekt davor, dass Sie Tag für Tag hier sitzen und schreiben, und Sie haben ja schon viele Bücher geschrieben, ich selbst hatte in der Schule große Mühe mit Aufsätzen, aber ich habe oft überlegt, wenn ich schreiben könnte, würde es ein ganz besonderes Buch werden.«
Jon sah sie wieder an. Sein Blick hatte sich verändert. Er hatte nicht mehr die Freundlichkeit von vorhin. Sondern etwas Herausforderndes.
»Ein Buch über dich? Über dein Leben?«, fragte er.
»Ja, im Grunde schon. Es gibt so vieles, was ich gern beschreiben würde, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
»Ich glaube, ich verstehe, was du meinst«, sagte er.
Er lachte ein wenig. Dann sah er sie wieder an und sagte: »Bist du eine Elfe, Mille?«
»Was?«
Mille glaubte einen Augenblick, sie hätte sich verhört. Aber er hatte sie tatsächlich gefragt, ob sie eine Elfe sei. Was sollte sie darauf antworten? Ihre Schönheit. Ihr Licht.
»Was … eine Elfe? … Na ja, vielleicht.« Sie musste lachen. »In meinem Leben gibt es irgendwie schon viel Zauber.«
»Schön«, sagte Jon kurz, »das ist gut so.« Und plötzlich wirkte er sehr müde.
Mille ließ nicht locker.
»Was ich sagen wollte, ist, dass ich ebenfalls Bücher mache. Nicht
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