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Das Verschwiegene: Roman (German Edition)

Das Verschwiegene: Roman (German Edition)

Titel: Das Verschwiegene: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linn Ullmann
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das Fest endlich in Gang gekommen war, überlegte Mille, dass sie vielleicht gar nicht wie geplant zu gehen brauchte, auch wenn alle fast hundert waren und sie frei hatte; Liv tanzte einem fernen Onkel auf den Füßen herum, und Alma hatte heute Abend die Verantwortung dafür, sie ins Bett zu bringen, mit ihr Zähne zu putzen, ihr etwas vorzulesen und vorzusingen. Mille überlegte, dass sie auch bleiben und sich mit Jon unterhalten könnte. Sie wollte ihm sagen, dass sie sich das Lied angehört hatte, das er ihr empfohlen hatte. Er hatte ihr eine CD geschenkt (keine neue CD , sondern eine CD , die in seinem Arbeitszimmer herumgelegen hatte, und er hatte sie ihr eigentlich auch nicht richtig geschenkt, eher geliehen), und dann hatte er ihr mitten in der Nacht eine SMS geschickt und sie gebeten, sich Sweetheart like you anzuhören. Das war alles, mehr nicht.
    Liebe Mille , stand in der SMS . Hör dir Sweetheart like you an – das Lied wird dir gefallen. J.
    Mille hatte sich mehrere Lieder angehört (sie hatte eigentlich noch nie etwas von Dylan gehört) und sich gefragt, warum Jon nicht bei Siri schlief, sondern in seinem Arbeitszimmer saß und ihr SMS schickte. Fühlte er sich mit Siri vielleicht nicht so wohl? Lag es daran, dass er an Mille dachte? Auch nachts? Konnte er deshalb nicht schlafen? Mille hörte sich das Lied mehrmals an, sie fand den Liedtext im Netz, las ihn sich immer wieder durch, schrieb ihn auf ein Blatt Papier und klebte das Papier in ihr Erinnerungsbuch. Der Text war schön – und vielleicht lag irgendwo darin eine geheime Botschaft von Jon an sie.
    By the way, that’s a cute hat
    And that smile’s so hard to resist
    But what’s a sweetheart like you doing in a dump like this?
    Mille kippte ein Glas Weißwein hinunter. Und noch eins. Sie ging auf ihren hohen Absätzen bemüht ruhig durch den Garten (die Absätze bohrten sich in den Rasen und versanken bei jedem Schritt) auf die Toilette in der Diele, die für die Gäste gedacht war, stellte sich vor den Spiegel und holte die Mascara aus dem goldenen Täschchen mit Fransen, das sie über der Schulter trug. Sie lächelte sich im Spiegel zu, schob den roten Träger ihres Kleides zurecht. Es war bestimmt möglich, heute Abend ein Alternativprogramm zu finden. Sie hatte schon Leute in ihrem Alter in der Pizzeria Palermo gesehen, und sie wusste, dass viele ins Bellini gingen. Lass Jon mit den Alten feiern, vielleicht würde er irgendwann im Laufe des Abends im Garten stehen bleiben, sich umschauen und fragen, wo sie steckte. Aber schon jetzt würde sie ihm eine SMS schicken und sich für den Dylan-Song bedanken.
    Sweetheart like you
    Sweetheart
    Sweet like you
    Sie warf einen letzten Blick in den Spiegel und ging wieder hinaus in den Garten. Die alten Bäume rauschten im Wind. Der Nebel schmiegte sich um Menschengruppen in Feierstimmung. Hier und da schaute jemand zum Himmel, um zu sehen, ob er sich bald öffnen und sie alle wegspülen würde, überall Fetzen des gleichen Gesprächs. Wird es bald regnen? Hat Siri vor, die Feier nach drinnen zu verlagern, wenn das Wetter schlecht wird? Gibt es hier eigentlich einen Plan? Was passiert mit dem ganzen Essen? Und dann eine laut singende Frauenstimme, die alle anderen übertönte: Wasser im Haar bedeutet Glück. Mille spürte einen Regentropfen auf der Schulter und konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. Sie stellte sich unter die gespannten Segel, die Jon und Irma aufgehängt hatten, und legte am Büfett einen Halt ein. Sie angelte sich einen Hähnchenspieß und noch einen, sie konnte nicht genug davon bekommen, der salzige Geschmack, vielleicht war es der Wein, vielleicht war es die SMS von Jon, vielleicht war es auch nur das Gefühl, dass etwas Schönes passieren könnte.
    Sie sah sich um und begegnete erneut Siris Blick. Mille tat Siri leid. Die schiefe Siri, die nachts allein im Bett lag, während ihr Mann an andere dachte. Mille lächelte ihr zu. Die schiefe Siri, die niemals fröhlich war. Komm schon, lächle zurück! Ich weiß, wie traurig du bist! Wie allein du bist! Weitere Regentropfen trafen Mille. Sie spürte sie auf der Schulter. In den Haaren. An der Wange. Sie liefen die Wirbelsäule hinunter. Mille hätte am liebsten laut gelacht. Es kitzelte. Doch als sich Siri (nachdem sie ihrem Blick kurz begegnet war) abwandte, nahezu angeekelt, war ihr plötzlich eher nach Weinen.
    »Altes Weibsbild! Verdammtes altes Weibsbild!«
    Sie sagte es nicht laut. Niemand hörte sie, sie war ein Mädchen im

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