Das Verschwiegene: Roman (German Edition)
weinroten Sessel. Sie trug einen blauen Mantel und eine blaue Mütze, hatte sich die Augen geschminkt und die langen Haare zu einem Zopf geflochten.
»Dein Vater ist tot«, sagte sie. »Er ist heute Nacht um zehn nach zwölf gestorben, das teile ich dir hiermit mit. Ich will, dass wir zusammen die Todesanzeige formulieren und sie an die Zeitung schicken, ich will, dass du mir hilfst, was …«, sie suchte nach dem richtigen Wort, »… Schönes zu schreiben. Du konntest dich immer so gut ausdrücken, das finden wir beide, Vater und ich.«
» FUCK YOU, MAMA !« Jon öffnete die Augen und setzte sich abrupt auf, als Almas Stimme durch das Haus, durch seinen Schlaf, durch die schattenhaften Erinnerungen drang. Es war schon halb zwei, und er hatte noch kein einziges Wort geschrieben (sich stattdessen ein Mittagsschläfchen gegönnt), und jetzt waren sie aus der Stadt zurück. Siri war mit Liv und Alma zum Einkaufen gefahren, er brauche sich um nichts zu kümmern, solle in Ruhe schreiben, hatte sie gesagt – und er hatte den ganzen Vormittag vergeudet. Diese kostbaren Stunden allein – verschwendet. Siri hatte gesagt: Setz dich hin und schreib! Vergiss die Kinder! Vergiss Alma und die Schere und Jenny! ( Vergiss Mille. ) Ich kümmere mich um alles! Konzentrier dich auf deine Arbeit. Dann klappt es. Und jetzt – verschwendet. Dieses Geschenk. Diese Stunden. Und was hatte er getan? Im Netz gesurft. An die andere gedacht (die er nicht sonderlich gern mochte). Ja, was hatte er getan? Er hatte sich zum Schlafen hingelegt. Und jetzt überrollen sie ihn wieder. Die Haustür fällt ins Schloss. FUCK YOU, MAMA ! Schnelle Schritte auf der Treppe. Stimmen. Hundetapsen. Siri ruft nach ihm, angespannt. Jon! Jon! Bist du mit Leopold draußen gewesen? Er muss anscheinend pinkeln!
Was Jon brauchte, war viel Zeit für sich allein. Ohne Kinder. Ohne Siri. Ohne Hund. Er könnte die Hütte in Sandefjord mieten, die ihm ein Bekannter angeboten hatte. Jon setzte sich an seinen Laptop und hämmerte auf die Tastatur ein, damit Siri, falls sie das Ohr an die Tür hielt, eine irrsinnige Arbeitslust und Kreativität hören konnte. Klick klick klick klick klick klick! Er sah das Buch an, das auf dem Schreibtisch lag. Danish Literature: A Short Critical Survey von Poul Borum. Er blätterte vor bis Seite sieben und tippte ab, was dort stand: Preliminary Remarks: This book is a short survey of contemporary Danish Literature, preceded by an even shorter sketch of the first thousand years of Danish Literature klick klick klick klick klick.
»Dann gehe ich jetzt mit ihm vor die Tür«, rief Siri vom Gang. »Er muss ja ganz klar raus!«
»Sehr schön! Vielen Dank! Bin gleich fertig!« Klick klick klick.
Er hörte, wie sie seufzte. War sie sauer? Und war sie sauer auf ihn oder auf Almas FUCK YOU, MAMA ? Später wollte er sie fragen, wie es in der Stadt gewesen sei und ob sie mit Alma habe reden können, und dabei wollte er so tun, als hätte er den Ausbruch der Tochter nicht gehört, absorbiert von seiner Schreiberei und allem, was dazugehört, und er würde sich unendlich präsent und interessiert, aufmerksam und konstruktiv zeigen. Seine Finger tanzten über die Tastatur. In a significant lecture on the aesthetics of literary influence at the second congress of the International Comparative Literature Association (reprinted in his book Literature as System , printed 1971), the American critic Claudio Guillén put it very succintly: It is important … that the study of a topic such as, say, Dutch poetry be encouraged not for charitable but for poetic reasons.
Jon hörte, wie die Tür ins Schloss fiel, kurz darauf schaute er verstohlen aus dem Fenster auf die Allee, die zur Straße führte, und dann auf Siri und Leopold, und Leopold zog und zerrte an der Leine, er war stark wie ein Ochse, und Siri tat ihr Bestes, um sich auf den Beinen zu halten, zog und mühte sich ihrerseits ab. Sie war definitiv sauer.
Sie könnte ihn sehen, wenn sie den Blick hob, dachte er. Leopold setzte sich auf die Hinterbeine, um sein Geschäft zu verrichten, und Siri stand mit einer kleinen schwarzen Tüte in der Hand daneben und sah genervt zu, dann streifte sie die Tüte über die Hand, bückte sich und hob die Hundekacke auf. Doch anstatt sich wieder aufzurichten, verharrte sie mit der Tüte in der Hand, den Kopf gebeugt, in der Hocke. Leopold schwänzelte um sie herum, aber sie blieb unten, rührte sich nicht, und einen Moment lang fragte sich Jon, ob sie sich
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