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Das Verschwiegene: Roman (German Edition)

Das Verschwiegene: Roman (German Edition)

Titel: Das Verschwiegene: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linn Ullmann
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ihre letzten Worte. Sie will abreisen. Sie wird lange wegbleiben. Er will nicht, dass sie fährt, aber es ist zu spät. Und sie sagt mit ihrer Kindfrauenstimme: You got to learn to have some faith in people. «
    Und Jon schickte ihr ein Foto vom Cover des Videofilms Manhattan .
    Die Videokassetten stapelten sich im Dachzimmer. Sie hatten es nicht über sich gebracht, sich von den Videos zu trennen, als die DVD s aufkamen, so stolz waren sie auf ihre Sammlung gewesen, und Jon hatte irgendwann vorgeschlagen, sie könnten sie in sein Arbeitszimmer in Mailund bringen und dort zusammen mit all den Schallplatten und Büchern und dem restlichen Spuk lagern.
    Siri schickte ihm ein Foto von ihrer rechten Hand, sie beschwerte sich hin und wieder über ihre Hände, dass sie trocken und blauschimmelig waren, dass die Nagelhaut an ihren Fingern eingerissen und entzündet war und wehtat. Auf ihrem Nachttisch hatte sie ein Töpfchen teurer, wohlriechender Handcreme, mit der sie ihre Hände jeden Abend eincremte. Manchmal vermisste er am Abend den Duft ihrer Hände, und eines Nachts schickte sie ihm ein Foto von dem Töpfchen mit der Handcreme.
    Und Jon machte ein Foto von seinem Gesicht und schickte ihr das Bild, und darunter stand:
    Kann ich kommen und bei dir schlafen? Ich habe Sehnsucht nach dir. Ich kann dir Geschichten erzählen.

A ber Jon erhielt keine Antwort. Nachdem er eine Weile gewartet und noch mehr Whisky getrunken hatte – er war zu Whisky übergegangen, von Rotwein bekam er Kopfschmerzen –, nachdem er Steve Forbert auf YouTube gesucht und gefunden hatte, nachdem er noch mehr Whisky getrunken hatte, schnappte er sich das Handy und verschickte eine weitere SMS .
    Kannst du nicht einfach antworten? Ich will bei dir sein. Ich will nicht mehr hier auf dem Dachboden liegen.
    Er starrte an die Decke. Keine Antwort. Verfluchtes Weib! Warum konnten die Dinge nicht einfach sein? Warum lag er hier auf dem Dachboden, verbannt? Warum konnten sie sich nicht einfach in dasselbe Bett legen und Sex miteinander haben?
    War es zu viel verlangt, sich ganz normale Zärtlichkeit, sich Nähe und Körperkontakt zu wünschen? Warum sollte es, wenn sie über Sex redeten, in dem Gespräch um alles andere als um Sex gehen, um alles, was vor dem Sex passieren musste? Um Hausarbeit, zum Beispiel. Um Verantwortung. Er müsse mehr Verantwortung übernehmen. Um Gefühle. Ihm fehle es an Empathie. Sie könne sich nicht auf ihn verlassen. Er sehe nicht alles, was damit zusammenhänge. Um Kinder. Die beiden laugten sie aus. Um Arbeit. Sie war überarbeitet. Um die Finanzen. Er bekam sein Buch nicht fertig. Sie konnten nicht allein von ihren Einkünften leben. Er müsse sich eine Arbeit suchen, wie andere Schriftsteller auch, die mit ihren Büchern kein Geld verdienen oder die ihre Bücher nicht auf die Reihe kriegen.
    Neulich hatte sie sogar gesagt: »Wir müssen zu einer gleichmäßigen Verteilung der Pflichten und Privilegien finden.«
    »Okay«, hatte er geantwortet und dann geschrien: »Wie viel ist einmal Bumsen wert? Sag schon, dann bezahle ich dafür. Im ganzen Haus staubsaugen? Jeden Tag kochen? Achtstündige Arbeitstage? Einen Bestseller schreiben? Müll sortieren? Bei der nächsten Kommunalwahl die Arbeiterpartei wählen? Sag schon! Wie viel ist einmal Bumsen mit dir wert?«
    Er betrachtete sein Handy. Keine Antwort. Verfluchtes Weib. Er schrieb eine neue SMS . Diesmal an Karoline.
    Ich will ein paar Tage verreisen, um zu schreiben, habe in Sandefjord eine Hütte gemietet. Kannst du kommen? Ich habe Sehnsucht nach dir.
    Die Antwort kam schnell.
    Wann?
    Eigentlich hatte er nicht vorgehabt, zum Schreiben zu verreisen, nicht jetzt, irgendwann nach Ostern vielleicht, und er hatte schon gar nicht geplant, Karoline mitzunehmen, sie war uncharmant, sie langweilte ihn, er hatte überlegt, das Ganze zu beenden, es lief seit fast einem Jahr, und er hatte keine Lust mehr, außerdem war es nicht unproblematisch, dass Karoline und Kurt gute Freunde waren.
    Was er hingegen überlegt hatte, als er das Angebot erhielt, in Sandefjord eine Hütte zu mieten, war, dass es ihm guttun könnte, allein zu sein, er brauchte mehr Zeit für sich. Musste sich einschließen. Ohne Unterbrechungen. Mit genug Whisky. Allein. Ohne Siri. Ohne Kinder. Ohne Hund. Er trank einen Schluck und schrieb:
    In zwei Wochen. Kannst du dich loseisen?
    Sie antwortete schnell. Das taten alle. (Nur Siri nicht, die in ihrem Doppelbett lag und die Lippen zusammenpresste.) Er stellte sich

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