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Das Verschwiegene: Roman (German Edition)

Das Verschwiegene: Roman (German Edition)

Titel: Das Verschwiegene: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linn Ullmann
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Ola das nicht machen«, fragte Jon, »oder du vielleicht?«
    »Ola ist zu alt«, sagte Irma, »und ich bin zu groß und schwer, ich habe Höhenangst. Ich kenne mich mit Dachrinnen nicht aus.«
    »Na ja, ich im Grunde auch nicht«, sagte Jon.
    »Ola sagt, die Dachrinnen seien voller Blätter und Zweige, und wenn sie zufrieren, können sie im Frühling, wenn es taut, platzen.«
    Jon müsse fahren, entschied Siri. Das sei eindeutig ein Annäherungsversuch von Jenny und Irma. Und einen solchen Annäherungsversuch mussten sie anerkennen. Siri hatte Angst, ihre Mutter könnte eines Tages im Sterben liegen, ohne dass Siri dabei war und – ja, genau, dabei war – , und das kann jederzeit passieren, so viel wie Mama trinkt und anstellt.
    Daraufhin googelte Jon »Reinigung von Dachrinnen« und fuhr nach Mailund, übernachtete auf dem Dachboden und räumte die Dachrinnen aus, so gut er konnte, und da er nun schon mal da war, fragte Irma, ob er nicht noch ein paar andere Kleinigkeiten erledigen könne. Er blieb drei Tage, sah aber weder viel von Jenny noch von Irma, was ihm sehr recht war. Er schaffte es sogar, zwischendurch im Dachzimmer ein paar Seiten zu schreiben, und fand es angenehm, ein wenig von zu Hause wegzukommen. Hin und wieder stand er am Fenster und sah auf die Blumenwiese, die morgens von Raureif bedeckt war, und dann kam es vor, dass er an Mille dachte. Er wollte aber nicht an Mille denken. Er wollte nicht an Mille denken, und er wollte nicht an den Brief denken, den er Milles Eltern nie geschrieben hatte, und er wollte schon gar nicht daran denken, dass er sie an dem Abend vielleicht hätte retten können, wenn er ihrem Vorschlag gefolgt wäre und sie getroffen hätte.
    Ich schlendere heute Abend ein bisschen durch die Straßen, nur für den Fall, dass Sie das Fest verlassen und ein Glas Wein mit mir trinken wollen.
    Am letzten Abend ging er mit Leopold die lange Straße hinunter zu den Anlegern und dem Laden. Normalerweise drehten sie eine Runde im Wald, aber Jon wollte sich ein paar Flaschen Bier und Erdnüsse kaufen. Die Abende waren dunkel geworden, und um ein Haar wären er und Leopold mit einem rund zehnjährigen Jungen zusammengestoßen, der mit seinem Fahrrad auf sie zuraste.
    »He, du«, rief Jon. »Du musst ein bisschen besser aufpassen.«
    Der Junge, der Simen hieß, hielt an und drehte sich um.
    »Sie sind Jon Dreyer«, sagte er, völlig unbeeindruckt von Jons Versuch, mit strenger Stimme zu sprechen. »Sie sind der Schriftsteller, stimmt’s?«
    »Das stimmt«, sagte Jon und lachte kurz. »Woher weißt du das? Ich nehme nicht an, dass du meine Bücher liest?«
    »Nein, das tue ich nicht«, sagte Simen, »mein Vater auch nicht, er hat versucht, eins Ihrer Bücher zu lesen, fand es aber langweilig. Mein Vater mag Bücher über das wahre Leben. Aber meine Mutter mag Sie. Sie hat alle Ihre Bücher gelesen. Es ist lange her, seit Sie ein neues Buch geschrieben haben, sagt meine Mutter. In Oslo hat sie mit fünf anderen Frauen einen Lesezirkel, und die haben einmal ein Buch von Ihnen gelesen, glaube ich. Sie hat von Ihnen erzählt, weil Sie im Sommer in Mailund wohnen. Dass Sie eine Art Nachbar sind. Sie sind Almas Vater, stimmt’s?«
    Jon nickte.
    »Alma hat manchmal auf mich aufgepasst, als ich noch jünger war. Das ist lange her …«
    »Ja«, sagte Jon. »Ich glaube, ich erinnere mich an dich.«
    »Diesen Sommer waren Sie aber nicht hier«, sagte Simen.
    »Nein, waren wir nicht«, sagte Jon. »Wir waren nur vier Tage hier, dann …«
    Er unterbrach sich selbst. Er brauchte sich nicht ständig zu rechtfertigen, schon gar nicht vor diesem Jungen. Sein Handy piepte, und Jon zog es heraus.
    Sie hatte so viele Pläne. A.
    »Ich bin Liverpool-Fan«, sagte Simen. »Und Sie?«
    Jon steckte das Handy wieder in die Tasche.
    »Ich bin auch Liverpool-Fan«, sagte er, »aber in letzter Zeit bin ich ein wenig untreu geworden.«
    Simen war während des ganzen Gesprächs mit dem Fahrrad um ihn gekreist. Immer wieder um ihn gekreist. Er radelte genauso mühelos, wie er sprach, er radelte müheloser, als er sprach, wenn es nicht sogar so war, dass er durch das Fahrrad sprach, durch das Fahrrad atmete, dass er und das Fahrrad eins waren. So war es. Jon lief geradeaus, und Simen umkreiste ihn auf dem Weg nach unten.
    »Dann kennen Sie auch Irma«, sagte Simen.
    Jon überraschte die Wendung, die das Gespräch nahm, aber er konnte bestätigen, dass dem so war, da Irma bei Jenny in Mailund wohnte.
    »Sie hat mich einmal

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