Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Verschwiegene: Roman (German Edition)

Das Verschwiegene: Roman (German Edition)

Titel: Das Verschwiegene: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linn Ullmann
Vom Netzwerk:
– und darum knotete sie die Schnürsenkel so lose zu, dass sie fast strauchelte und das Gleichgewicht verlor, sie trug dünne Kleider und fror, wenn die Kälte kam.
    Und hätte sie etwas zu Jon gesagt, dann vielleicht: »Was hast du ihr von mir erzählt? Warum hast du mich ausgeliefert? Kann ich sie anrufen, alle miteinander? Paula Krohn mal Paula Krohn mal Paula Krohn bis ins Unendliche, und alles zwischen uns ist eine verdammte Lüge.«
    In den Wochen und Monaten und Jahren, nachdem Siri den Brief gelesen hatte, wuchs Paula Krohn zu etwas Großem und Mächtigem heran. Siri hatte sie gegoogelt und herausgefunden, dass sie vierunddreißig war, in einer Kunstgalerie arbeitete und in der Uelands Gate wohnte. Sie hatte 567 Freunde auf Facebook. Ihr Profilfoto war unscharf, auf interessante Weise nicht fokussiert, sie hatte einen neckischen Blick und lange blonde Haare. Auf diesem Foto sagte Paula: Ich bin hübsch und interessant, mein Foto ist anders als andere Fotos, ich habe einen neckischen Blick, ich bin die Allereinzige. Ja, alle anderen Frauen, auch die, die nicht ganz so hübsch waren, von denen Siri sich aber vorstellen konnte, dass Jon sich wegen der langen Haare, der schmalen Schultern, der schönen Brüste und des neckischen Blicks in sie verliebt hatte, wurden groß und mächtig. Sie waren überall. In den Kneipen. Im Laden. Auf Facebook. Auf der Straße. Im Fitness-Center. Im Wald. In den Wellen. Und sie alle waren die Allereinzige, und Siri war ein Körper neben anderen Körpern. Und Siris Blick glitt über ihre Gesichter und Körper, anfangs war sie dabei noch am Boden zerstört (betrogen, hereingelegt, ersetzt, wegretuschiert, ausgesperrt), später neugierig (wenn er sie sich anschauen kann, kann ich es auch) und mit der Zeit begierig und schamlos.
    Und hätte sie etwas zu Jon gesagt, dann vielleicht: »Ich will sehen, was du siehst, entdecken, was du entdeckst, was sie zu den Allereinzigen macht, ich will sie mit dir teilen, sie ausziehen, ihre weiche Haut streicheln, sie aufschlitzen, in sie versinken und hören, wie sie deinen Namen sagen, meinen Namen sagen, und ich denke an alles, was du bist, und alles, was du mir zeigen kannst, und alles, was ich mit dir machen will , ich will sie fallen sehen, spüren, was du spürst, wenn sie dich anschauen, mich anschauen.«

U nd wenn er darüber nachdachte, was er zurzeit lieber unterließ, konnte er nicht genau sagen, wann Siri und er angefangen hatten, getrennt zu schlafen. Sie im Schlafzimmer und er auf dem Dachboden. Es war ein vorübergehendes Arrangement, getrennt zu schlafen, und sie behaupteten voreinander, die Kinder seien schuld, was zum Teil auch stimmte. Alma kam jede Nacht zu ihnen ins Bett und schmiegte sich an ihn . Nimm mich in den Arm! Streich mir über den Rücken! Zerzaus mir die Haare!
    »Es ist nicht auszuschließen«, sagte Jon, »dass ich deswegen nicht schreiben kann, weil ich in der Nacht keinen Schlaf finde, solange Alma bei uns im Bett schläft.«
    Siri drehte sich zu ihm um und sagte: »Sie hält nicht nur dich wach, Jon. Sie will nicht nur neben dir liegen. Gestern Nacht hat sie sich an mich geschmiegt, und du hast geschnarcht. Somit warst du derjenige, der mich wachgehalten hat, nicht Alma. Armer schlafloser Jon.« Ihre Stimme klang schrill.
    »Was du nicht sagst«, sagte Jon.
    »Was du nicht sagst! Hast du jemals darüber nachgedacht, dass ich diejenige bin, die das Geld verdient, damit du dein verdammtes Buch schreiben kannst? Oder auch nicht.«
    Und so ging es hin und her.
    Nicht lange, nachdem Liv laufen gelernt hatte und ihr Gitterbettchen verlassen konnte, kam auch sie nachts zu ihnen, aber sie hatte nicht den Anspruch, getätschelt und gestreichelt zu werden. Sie kam im Dunkeln herein, krabbelte über Siri und Alma und Jon und legte sich quer ins Bett, schob alle anderen weg. Sie fragte nicht um Erlaubnis, und sie wollte nicht gehalten oder gestreichelt werden, sie wollte nur schlafen, aber sie war diejenige, die im Bett den meisten Platz einnahm. Und so vergingen die Nächte. Alle außer Liv, die ungestört durchschlafen konnte, wachten auf und schliefen wieder ein, wachten auf und schliefen wieder ein. Jon befreite sich von Almas Arm und legte ihn sachte neben ihr aufs Bett, aber sie kroch hinter ihm her und umschlang erneut seinen Hals, und Siri bettete Livs Kopf auf die Decke und schob vorsichtig ihre Beine herum, so dass sie direkt zum Fußende zeigten, doch Liv breitete sich bald wieder aus und legte sich

Weitere Kostenlose Bücher