Das verschwundene Kind
Schröder wandte sich kurz zu ihm um. »Ah, der Polizistenfreund von Maren, der die Schar der Freunde und Helfer mobilisiert hat. Ein Sondereinsatzkommando der besonderen Art«, stellte sie fest und drehte ihm wieder den Rücken zu.
Stephan bemühte sich, die aufsteigende Wut im Zaum zu halten, und sagte betont galant: »Ja, wir können nicht nur Durcheinander machen, wir können auch aufräumen.« Er lehnte sich neben ihr an das Geländer.
Sie schaute ihn von der Seite an. »Hoffentlich räumen Sie mir nicht die ganze Wohnung leer.«
Lars schüttelte den Kopf. »Was brauchbar aussieht, lassen wir dort. Möchten Sie nicht mit nach oben kommen und uns sagen, was wegkann und was nicht?«
Sie nahm einen tiefen Zug. »Ich bleibe lieber hier, bis es vorbei ist.«
»Und wenn Sie dann etwas Wichtiges vermissen?«
»Nichts ist noch wichtig. Sachen sowieso nicht. Haben Sie Hatices Mörder gefunden?«
»Nein.«
Sie nahm wieder einen tiefen Zug. »Und das Bündel, also ich meine, das Baby? Haben Sie es gefunden?«
»Nein.«
In ihrem Gesicht entstand ein verächtlicher Zug. Stephan ließ sich davon nicht beeindrucken. »Sie könnten uns unterstützen.«
Ihr verächtlicher Gesichtsausdruck verstärkte sich. Sie streifte die Asche in den Blumenkasten und blickte ins Leere. »Ich habe alles gesagt.«
»Das glaube ich Ihnen. Manchmal sagt man aber etwas nicht, weil man es nicht für bedeutsam hält oder weil man es vergessen hat. Manche Dinge fallen einem erst viel später wieder ein. Bestimmt haben Sie inzwischen viel über alles nachgedacht, und vielleicht ist Ihnen da so manches wieder in den Sinn gekommen, was Sie uns seinerzeit nicht mitgeteilt haben.« Sie zuckte mit den Schultern. Er setzte noch einmal an: »Haben Sie mit Hatice wirklich nie über den Vater des Kindes gesprochen?«
»Sie hat mir seinen Namen nicht nennen wollen.«
»Dennoch hat sie Ihnen einiges über ihn anvertraut, oder?«
»Eher indirekt. Ich spürte, dass sie sehr verliebt in ihn war und sehr enttäuscht darüber, dass er nicht zu dem Kind stand und die Beziehung zu ihr abgebrochen hatte.«
»Welches Bild haben Sie sich in Ihrer Vorstellung von diesem Mann gemacht?«
Die Schröder schaute ihn mit großen Augen an. »Meine Vorstellungen sind doch nicht wichtig!«
»Sie sind Künstlerin. Sie haben Phantasie und Einbildungskraft. Aus vielen kleinen Informationen und Beobachtungen schaffen Sie ein Bild.« Er sah ihr an, dass er ihr damit schmeichelte. Jetzt schien sie ernsthaft nachzudenken.
Sie drückte die Zigarette im Blumenkasten aus und zündete sich sofort eine neue an. »Ich glaube, dass er Deutscher und anderweitig gebunden war, vielleicht verheiratet. Auf jeden Fall muss er einen guten Grund gehabt haben, die Beziehung zu Hatice absolut geheim zu halten. Ich denke, dass er von Hatice fasziniert war, sie aber niemals so liebte wie sie ihn. Ich fürchtete, dass er die Beziehung zu ihr wieder aufgenommen hatte.«
»Ach, wie kamen Sie darauf?«
»Sie hat wieder öfter gekocht. In der Spülmaschine gab es das benutzte Geschirr immer zweifach. Im Bad standen Deo und Duschgel für Männer und eine zusätzliche Zahnbürste.«
Stephan runzelte nachdenklich die Stirn. »Sie hatten doch ausgesagt, dass Sie an dem Samstag nach dem Mord in die Wohnung zurückkehren wollten, um Ihre Jacke zu holen. Sie glaubten, dass jemand in der Wohnung war. Können Sie mir das noch einmal schildern?«
»Ich hatte sehr leise und vorsichtig die Wohnungstür geöffnet. Ich hatte große Angst. Auch war die Vorstellung schrecklich, dass Hatice noch immer dort im Wohnzimmer lag. Die Wohnzimmertür war angelehnt. Ich sah ihren Fuß. Plötzlich hörte ich aus dem Badezimmer ein Geräusch. Es klang so dumpf, als sei jemandem ein Kunststoffbehälter in die Badewanne gefallen. Ich hatte mich furchtbar erschrocken und stand erst einmal ganz still da. Die Person im Bad schien mich nicht bemerkt zu haben.«
»Was dachten Sie in dem Moment, wer die Person im Bad sein könnte?«
»Ich dachte, dass dies der Mörder ist, der seine Spuren beseitigt. Erst dachte ich, das sei ein Bruder von Hatice. Aber dann dachte ich, dass es auch der Vater des Kindes sein könnte, der seine Sachen aus dem Bad räumt, damit man von seiner Anwesenheit keine Spuren mehr findet.«
»Und? Was fühlten Sie dabei?«
Die Schröder musterte Stephan mit einem seltsamen Blick. »Sie sind der erste Polizist, der mich nach meinen Gefühlen befragt. Ich denke, es geht euch immer nur um die
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