Das verschwundene Kind
Verbesserung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit stattgefunden. Tom, Veras Ehemann, zeigte sich ebenfalls äußerst verständnisvoll und erhob keinerlei Vorwürfe. Seiner Frau und ihm ging es vor allem darum, möglichst pünktlich zu ihrer Wohnungsbesichtigung zu kommen. Maren trug zur guten Stimmung bei, indem sie sich bereit erklärte, Veras Kinder bis zum Abend bei sich zu behalten, was Lars endgültig dem Gefrierpunkt nahe brachte. Alles hätte noch einigermaßen glimpflich enden können, wenn nicht plötzlich Garfield von einem seiner Lieblingsplätze aufgetaucht und Heck schnurrend um die Beine gestrichen wäre. »Von wegen, du kennst niemanden mit einer roten Katze«, brummte er und kraulte den Kater hinter den Ohren.
Lars fielen an diesem Tag keine klugen Argumente mehr ein, er reagierte sogar äußerst dämlich, indem er sagte: »Findest du ihn wirklich so rot? Ist er nicht eher cremefarben?«
Heck antwortete mit einem vernichtenden Blick, zog ein Asservatentütchen hervor und deponierte darin einige Haare des Katers. Danach musste sich Maren von Heck Fragen gefallen lassen, deren Zusammenhang sie überhaupt nicht verstand. Ob sie eine Wohnung in der Domstraße in Offenbach kenne, eine Özlem Onurhan, eine Hatice Ciftci. Maren reagierte so glaubhaft ahnungslos, dass Heck irgendwann zufrieden war und verschwand, ohne Lars Stephan noch eines Blickes zu würdigen.
Die halbe Nacht versuchte Lars, Maren die Zusammenhänge zu erklären und dabei das Kunststück zu vollbringen, möglichst wenig Dienstgeheimnisse preiszugeben. Dadurch wurden seine Schilderungen undurchsichtig. Maren hörte geduldig zu, ohne wirklich zu verstehen, und meinte am Schluss: »Ehrlich gesagt, wäre es mir lieber gewesen, du hättest denjenigen erwischt, der sich heimlich hier in meiner Wohnung zu schaffen macht.«
»Der kann nicht mehr kommen. Das Schloss ist ausgetauscht«, erklärte Lars.
»Trotzdem habe ich ein mulmiges Gefühl«, erklärte Maren.
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Donnerstag, der 25. Oktober
I nzwischen hatte es sich eingebürgert, dass sie sich jeden Morgen um sieben Uhr mit ihren Kaffeetassen in der Hand an den Schreibtischen gegenübersaßen. Lars Stephan hätte vollstes Verständnis dafür gehabt, wenn Heck an diesem Morgen auf das Ritual verzichtet hätte. Doch er kam wie gewohnt und ließ sich schwer auf seinen Bürostuhl fallen. Dann holte er tief Luft, schüttelte ein wenig den Kopf und sah Lars Stephan lange an.
»Ich weiß gar nicht, wie ich dir für gestern danken kann«, erklärte Stephan. »Für so was gibt es keine Währung, Kollege. Oder?«
»Doch«, sagte Heck trocken, »kläre mir diesen verdammten, verzwickten Fall auf! Aber bitte ohne Sperenzchen – von mir aus mit Phantasie und Alleingängen und ungewöhnlichen Mitteln, aber nie mehr, ohne dass du mich davon in Kenntnis setzt, verstanden?«
Lars nickte. »Ich habe heute Vormittag einen Termin in der Shiatsu- und KG -Praxis der Damen Kling und Sauer«, erklärte er.
»Aha, und warum?«
»Weil ich Nackenverspannungen habe.« Lars Stephan schmunzelte.
Heck grinste. »Na, dann lass dich mal entspannen, Kollege!«
*
Punkt elf Uhr stand Stephan an der Tür der Praxis. Ein sanfter Gong, der lange nachhallte, ertönte, nachdem er den Klingelknopf betätigt hatte. Wenig später wurde die Tür mit dezentem Schwung von Veronika Kling geöffnet. Um ihre Mundwinkel spielte ein geheimnisvolles Mona-Lisa-Lächeln, ihre Augen hingegen taxierten ihn mit kühlem Eisblick. Stephan musterte sie ebenfalls. Sie trug eine weite, erdfarbene Hose. Ihre Füße steckten in flachen, schwarzen Ledersandalen. Ebenso schwarz war eine lang geschnittene, kurzärmelige Bluse mit Stehkragen, die ihrem Oberkörper eine unvorteilhafte Kastenform verlieh. Ihn erinnerte das an die Rüstung eines asiatischen Kriegers. Ihr glattes, dünnes Blondhaar passte nicht zu diesem Outfit.
»Kommen Sie doch herein, und ziehen Sie bitte die Schuhe aus!«, sagte sie und trat einen Schritt zurück. Er stand in einem schmucklosen, vanillefarben getünchten Flur mit schwarz gekacheltem Fußboden. Es gab ein offenes, dunkles Holzregal, in dem sich bereits drei Paar Schuhe befanden. Stephan stellte seine dazu. Daneben an der Wand verlief eine schmale Garderobenleiste. Ein dünner, grauer Mantel, der mit einem zarten, bunten Halstuch dekoriert war, hing dort auf einem Bügel. Stephan hängte seine Lederjacke daneben an einen Haken und folgte Veronika Kling auf Strümpfen durch den langen Flur bis zu einer
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