Das verschwundene Mädchen: Roman (German Edition)
einen.«
Darauf guckte Donny so hitzig, dass ich schon dachte, jetzt würde er gleich knistern. »Bin doch kein Lieferdienst. Die kann sich ihre Scheißdonuts selber holen.«
»Okay, dann geh ich mit!« Da überschlug auch ich mich fast vor Begeisterung.
Das Rainbow Café stand sowieso als Nächstes auf meiner Liste. Dass ich ihm hinterhertrottete, hatte ihm grade noch gefehlt. Er war so schnell abgezwitschert, dass ich auf seinem Rockschoß hätte Karten spielen können. Das war der Ausdruck meiner Mutter, wenn jemand sich verdünnisierte. Das Bild hat mir schon immer gefallen, wie jemand so schnell saust, dass sein Rock hinter ihm hochfliegt, flach und eckig wie ein Tisch.
Ich holte Donny ein, als der den Verkehr anhielt, damit er die Straße überqueren konnte. Das machte er immer: streckte die Handfläche vor sich und stoppte einen alten Ford, der so klapprig war, dass es aussah, als wäre er sowieso gleich ächzend stehen geblieben. Ich hüpfte einfach mit hinüber.
»Verzieh dich, hörst du!«, schäumte er und eilte raschen Schrittes auf die andere Seite und hinein ins Rainbow Café.
Ich winkte dem Fahrer des Fords zu, der mich zahnlos anlächelte.
Donny stand vor der Kuchenvitrine, deutete auf etwas und bellte Wanda Wayans seine Bestellung entgegen.
Ich ging nach hinten zur Getränketheke, wo Maud, die Hand zitternd am Metallbehälter, gerade einen Milchshake fabrizierte.
»Willst du auch einen, Emma?« Sie deutete auf die Ma schine. »Miss Isabel schafft nie einen ganzen allein.«
Als ich mich umdrehte, sah ich Miss Isabel Barnett hinten in einer holzvertäfelten Nische sitzen. Sie schaute in ein silbernes Puderdöschen und legte offenbar grade Lippenstift auf. »Ich muss mit ihr reden«, sagte ich zu Maud. »Danke!«
»Macht es Ihnen was aus, wenn ich mich ein Weilchen hinsetze, Miss Isabel?«
Sie schien hocherfreut, mich zu sehen. »Ach Emma Graham, setz dich her und erzähl mir, was du so alles treibst.«
Während ich in die Nische rutschte und sah, wie sie einen offensichtlich nagelneuen Lippenstift wegsteckte, wollte ich nicht fragen, was sie denn so alles trieb. »Nicht viel. Ich muss Sie aber was fragen: Wissen Sie noch, wie wir letzte Woche über Morris und Imogen Slades Baby gesprochen haben?«
Zuerst wirkte sie etwas irritiert.
»Die Slades waren in La Porte, erinnern Sie sich? Das ist über zwanzig Jahre her, und Sie sagten mir, Sie hätten die Kleine in ihrem Kinderwagen gesehen?«
Ihr Gesicht wurde vor lauter Nachdenken ganz verkniffen, als schleuderte sie ihr Gedächtnis um zwanzig Jahre zurück. »Ja! Das arme kleine Ding war bestimmt erst ein paar Wochen alt, als ich es gesehen hab …«
Es kam eigentlich selten vor, dass mir vor Überraschung die Kinnlade runterfiel. Jetzt passierte es. »Ein paar Wochen ? Aber Miss Isabel, wir haben doch über die Zeit geredet, als das Baby vier Monate alt war!«
Miss Isabel schüttelte entschieden den Kopf. »O nein, Emma, das kann gar nicht sein. Dieses Baby wog so wenig und war so klein … als es geboren wurde, musste das Krankenhaus es drei Wochen in einen Brutkasten legen. Das arme Würmchen war noch nicht lang draußen, na ja, nicht mehr als ein paar Wochen jedenfalls.«
»Sie sagten auch, es hätte diese Krankheit gehabt, das Down-Syndrom oder so was?«
Ihre Augenbrauen gingen hoch. »Das Slade-Baby? O nein, glaube ich nicht.«
Ich starrte sie sprachlos an. Wie war sie zu all diesen Informationen gekommen, die Hälfte davon im Widerspruch zu dem, was sie mir zuvor erzählt hatte? »Miss Isabel, sind Sie sicher, dass wir über dasselbe Baby reden?«
Sie nippte an ihrem Milchshake und runzelte die Stirn.
Ich wusste nicht so recht, weshalb ich erwartet hatte, dass sie sich zwanzig Jahre zurückerinnerte. Ich konnte mich kaum an die letzten zwanzig Tage erinnern, dabei war ich ein ganzes Stück jünger als Miss Isabel Barnett, deren Hirn vom vielen Erinnern wahrscheinlich völlig erschöpft war.
Sie hatte Fay Slade gar nicht gesehen.
»Danke, Miss Isabel. Ich muss wieder los.«
So schnell flog ich aus dem Rainbow, dass man auf meinem Rockschoß hätte Karten spielen können.
Dabei wusste ich überhaupt nicht, wohin ich rannte. Ich blieb stehen, um Atem zu holen. Das Baby war von gar niemandem gesehen worden. Meine Theorie könnte also stimmen – dass die Entführung inszeniert worden war. Gloria Spiker und Prunella Rice – die beiden waren vermutlich bestochen worden. Beide mussten eingeweiht gewesen sein, denn sie achteten
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