Das verschwundene Mädchen: Roman (German Edition)
Dutzend winzige Lachmünder. Ich liebte Parker-House-Brötchen und war durch den Gedanken abgelenkt, wie sie gleich weich und goldbraun fluffig aufgehen würden.
»Emma.«
»Was?«
Sie deutete auf die mit einer weißen Porzellanplatte gekrönte Kücheninsel in der Mitte des Raumes, wo ich die Salate machte. »Da ist das Tablett. Ich muss bloß noch ein paar Rühreier dazutun.«
Meine Mutter machte die Rühreier immer im Wasserbad statt in einer Bratpfanne. Sie schlug sie mit dem Schneebesen über dem siedenden Wasser leicht auf, wodurch sie sehr luftig wurden. Wie die Brötchen gerieten sie locker, weich und glatt. Ich warf einen prüfenden Blick über das Tablett: Orangensaft und Buttermilchpfannkuchen. Die Pfannkuchen lagen auf einem Teller unter einer Haube, damit die Hitze drinblieb. Du meine Güte! Neben dem Teller stand eine kleine Karaffe mit Ahornsirup, der so rein war, dass Walter ihn bestimmt draußen von einem Baum abgezapft hatte. Ich ließ mich vom Pfannkuchenduft umwabern.
»Tu den Deckel drauf, sonst werden sie kalt. Da …« Sie reichte mir einen großen Teller mit Eiern.
»Du hast sie sogar mit Petersilie bestreut?«
»Mach ich bei Rühreiern immer.«
»Wir reden hier von Will und Mill. «
»Und hier ist Petersilie und Petersilie. Los!«
Im Speisesaal hörte ich Geräusche. Es war fast neun Uhr. »Hoffentlich ist das nicht Miss Bertha, die da drin rumkratzt.«
»Ich kümmere mich um Miss Bertha, wenn du jetzt mit Jammern aufhörst und das Tablett in die große Garage bringst.«
Nicht Miss Bertha bedienen müssen! Dafür würde ich das Tablett bis in die Hölle hinuntertragen. Ich platzierte es schwungvoll auf der Handfläche und war bereits zur Hintertür hinaus, bevor meine Mutter merkte, dass sie den Kürzeren gezogen hatte.
Ich knirschte über den Kiesweg am Cocktailgarten vorbei zur großen Garage. Da ich alle Hände voll hatte, musste ich mit dem Fuß an die Tür klopfen. Wie immer erschien Wills Gesicht zur Hälfte zwischen Tür und Türrahmen.
»Was?«
»Du weißt genau, was.« Ich klopfte mit dem Tablett.
»Ach ja.« Er machte die Tür auf und ging dann davon, ohne Anstalten zu machen, mir das Tablett abzunehmen. »Frühstück, Kumpan!«, rief er zu Mill hinüber.
Kumpan? Und auch noch mit einem aufgesetzten britischen Akzent. Ich stellte das Tablett auf einen rot gesprenkelten Holzklotz, der noch von Medea, das Musical übrig war. In der Inszenierung war jede Menge Sprayfarbe verwendet worden, besonders die rote für Blut. Das Blut fanden sie ganz toll und besprenkelten alles Mögliche damit. Einmal kam ich herein und sah Paul in einem roten Dunst. Oder – wer weiß? Bei dem, was sie mit Paul alles anstellten, hätte es auch echtes Blut sein können.
Mill stieß herzhaft in seine Trompete. Er spielte alles – Horn, Klavier, Klarinette, Trommel. Er war der talentierteste Mensch, der mir je begegnet war und mir vermutlich je begegnen würde. Er schmiss die Trompete hin, als hätte er noch hundert andere und kam zu Will herüber, der bereits literweise Ahornsirup über seine Pfannkuchen goss.
»Wo ist Paul?«, fragte ich.
Mit vollem Mund zeigte er mit der Gabel nach oben. »Dachsparren. Bindet Wolken.«
Bindet Wolken. »Paul!«, rief ich laut.
»Hallo, Missus.« Sein weißblonder Schopf erschien für einen kurzen Augenblick und verschwand wieder.
»Frühstück!« Ich würde die nicht alles allein verschlingen lassen. »Komm runter!«
»Hallo, Missus!«
»Habt ihr ihn etwa festgebunden?«
Will schaufelte sich Eier in den Mund. Er schüttelte den Kopf. »Nein, der muss doch die Wolken runterlassen. Er hat aber ein Seil um.«
Um den Hals. Würde mich nicht wundern.
Mill klappte einen Pfannkuchen zusammen und sagte: »Ich muss wieder rüber.«
Zu was denn? Wohin? Ich sah zu, wie eine Pappkartonwolke bis kurz vor das Cockpit des Flugzeugs heruntergelassen wurde. Eine weitere Wolke hing über dem Passagierraum.
Als es an der Tür klopfte, ging Will hin. Mir fiel auf, dass er sie völlig normal öffnete und die Draußenstehenden, wer auch immer es war, tatsächlich begrüßte.
Ein ungleiches Mädchenpaar kam herein, die eine klein, die andere groß, sie mochten etwa acht oder zehn Jahre alt sein. Beide trugen den gleichen dämlichen Gesichtsausdruck zur Schau, waren demnach also wahrscheinlich verwandt. Es kann manchmal sein, dass Geschwister die Mimik voneinander übernehmen, bloß weil sie ständig beieinander sind.
Will informierte mich, dies seien »die Evans
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