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Das verschwundene Mädchen: Roman (German Edition)

Das verschwundene Mädchen: Roman (German Edition)

Titel: Das verschwundene Mädchen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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mit ausgedünntem grauen Haar, der auf einem speckigen Nacken und schweren Schultern ruhte. Und diese unbeirrbaren dunkelblauen Augen, die ihm bei Vernehmungen von Tatverdächtigen vermutlich sehr genützt hatten. Diese Augen wollte wohl niemand gern allzu lange auf sich ruhen lassen.
    »Stimmt«, sagte er, »das ist die ganze Sache wohl wert, dass einer drüber schreibt, und vielleicht bist du ja genau die Richtige. Mein Geschreibsel ist doch nichts wert.«
    Ich musste an die polizeilichen Ermittlungen denken, die aber nicht stattgefunden hatten. »Es hat da wohl keine große Untersuchung zu der Entführung gegeben oder dem Verschwinden oder was auch immer mit dem Baby passiert ist. Ich will ja niemand beleidigen, aber es hieß, Mr Woodruff hätte die Polizei bestochen.«
    Er lachte bloß. »Ja, das Gerede kenn ich auch. Es ist aber kein Geld geflossen.« Wie zur Veranschaulichung wischte er sich mit den Händen über die Schenkel. »Nein, ich hatte mich bereit erklärt, noch damit zu warten, aus Freundschaft, das ist alles.«
    »Wieso hat er Sie darum gebeten?«
    »Weil er befürchtete, sein Schwiegersohn wär’s gewesen, und er Zeit brauchte, um das aus ihm rauszukriegen. Ich weiß, hätte ich nicht machen sollen, aber der Mann war ja so überdreht.« Er lächelte unmerklich. »Er war ja auch mit dem Gouverneur bekannt.« Da wurde sein Lächeln verschlagen. »Es ist ihm aber nie gelungen, Morris Slade mit der Entführung in Verbindung zu bringen.«
    »Die Spur wurde also kalt«, half ich ihm auf die Sprünge.
    »Du warst wohl zu oft im Kino, Kleine.« Er grinste. »Die Spur war schon immer kalt gewesen. Ich bewegte mich auf dünnem Eis, das war mir klar.«
    Ich runzelte die Stirn. Es hörte sich fast so an, als hätte Carl Mooma schon von vornherein gewusst, dass es hoffnungslos war.
    »Die ganze Sache war faul, wie ich schließlich merkte«, fuhr er fort.
    »Inwiefern faul?« Ich überlegte, ob er das Gleiche faul dran fände wie ich.
    »Die Babysitterin zum Beispiel. Wie hieß die gleich noch?«
    »Gloria Spiker. Heute heißt sie Calhoun.«
    »Ja. Die sagte – endlich, nachdem ich hundertmal gefragt hatte, weil mir schon klar war, dass sie was verschweigt …«
    Ausgerechnet in diesem Moment fing er an zu husten und wedelte seinen Zigarrenrauch beiseite. »Hab’s auf der Lunge …« Das Gehuste ging weiter.
    Hoffentlich starb er mir hier jetzt nicht weg, bevor er mit seiner Geschichte fertig war. Ich klopfte ihm auf den Rücken, überrascht, dass ich mir das erlaubte, als würden Sheriff Mooma und ich uns schon ewig kennen. Endlich hörte er auf.
    »Ich muss die aufgeben, die Dinger.« Er hielt die Zigarre in die Höhe.
    »Später«, erwiderte ich, wie üblich ohne jedes Mitgefühl. »Erzählen Sie weiter von Gloria Spiker. Was hat sie denn verschwiegen?« Ich wusste es, aber vielleicht wusste er ja mehr.
    »Sie sagte, die Mutter konnte das Baby nicht leiden. Also Imogen Woodruff, später Slade. Die junge Spiker sagte, das hätte sie daran gemerkt, wie die Mutter ihr Anweisungen gab, eher so, als redete sie von einem kranken Hund. Sie – also, Imogen, die Mutter – sagte, sie solle das Baby in Ruhe lassen, es nicht aufwecken oder sonst was. Nun, sie hätte noch nie eine Mutter gehört, die ihrem Kind gegenüber so gefühlskalt war.«
    Hm, nun ja, dachteich so bei mir. »Und der Vater, Morris Slade?«
    »Ach, über den hat Gloria überhaupt nicht viel gesagt, bloß dass er recht nett war. Ich glaube aber nicht, dass der viel damit zu tun hatte, sie in ihre Aufgaben einzuweisen. Wenn ich mich recht erinnere, war der gar nicht im Zimmer.«
    Es hatte angefangen zu regnen, zarter Dunst wehte auf die Veranda, doch wir blieben sitzen und betrachteten das Ganze wie ein Schauspiel aus einem anderen Land. Ein Kugelhagel aus Regentropfen hätte auf die Veranda und auf uns niederprasseln können, ich hätte mich nicht gerührt.
    »Was ist mit der Freundin, Prunella Rice? Mir der haben Sie doch bestimmt auch geredet?«
    Er nickte. »Klar. Die bestätigte, dass die beiden etwa zwanzig Minuten miteinander telefoniert hatten.«
    »Ich hab mit ihr gesprochen. Über den Anruf haben beide genau die gleiche Geschichte erzählt, wortwörtlich.«
    Er wedelte den Regen wie Rauch beiseite. »Das war abgesprochen, musste es doch sein.«
    »Es gab gar keine richtige Entführung, nicht wahr? Es war alles arrangiert, oder?«
    Er schaute mich von oben bis unten an, wie einer, der versucht, aus einem schlau zu werden. »Du bist ja

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