Das Versprechen
Die Zeit verstrich mit lähmender Langsamkeit. Lou ging vor dem Stolleneingang nervös auf und ab. »Bitte, bitte. Beeil dich.« Sie rannte zum Stollen, als sie jemanden kommen hörte. »Diamond! Eugene!«
Doch es war Jeb, der auf der Jagd nach dem Eichhörnchen aus der Grube auftauchte. Lou schnappte sich den Hund, und dann schleuderte die Wucht der Explosion sie von den Füßen. Staub und kleine Steinchen schossen aus dem Stollen, und Lou lag hilflos hustend und keuchend in diesem Wirbel. Oz eilte zu ihr, um ihr zu helfen, während Jeb wütend kläffte und aufgeregt hin und her sprang.
Lou raffte sich auf, schnappte nach Luft und stolperte zum Mineneingang. »Eugene! Diamond!«
Schließlich konnte sie Schritte hören. Sie kamen näher und näher und schienen schwerfällig, unregelmäßig zu sein. Lou schickte ein stummes Gebet zum Himmel. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, aber dann tauchte Eugene auf, benommen, verdreckt und blutend. Er schaute sie an, Tränen liefen ihm über die Wangen.
»Verdammich, Miss Lou.«
Lou machte einen Schritt, dann einen zweiten, dann einen dritten. Dann wirbelte sie herum und rannte, so schnell ihre Füße sie trugen, den Weg hinunter, während ihre Schreie von den Bergwänden widerhallten.
Ein paar Männer trugen Diamonds zugedeckte Leiche zu einem Wagen. Sie hatten eine Zeit lang warten müssen, bis der Rauch sich verzogen hatte und sie sich vergewissern konnten, dass der Stollen nicht einstürzen würde. Cotton sah zu, wie die Männer Diamond davontrugen, und ging dann hinüber zu Eugene, der auf einem großen Stein saß und sich einen nassen Lappen an den blutigen Kopf presste. »Bist du sicher, Eugene, dass du sonst keine Hilfe brauchst?«
Eugene schaute zum Stolleneingang, als rechnete er damit, dass Diamond jeden Moment mit seinem albernen Grinsen herausstolziert käme, das widerspenstige Haar von Staub gepudert. »Mir könnt jetzt nur helfen, dass das Ganze ein böser Traum war, aus dem ich grad aufgewacht bin, Mr Cotton.«
Cotton tätschelte Eugenes kräftige Schulter und blickte dann zu Lou, die auf einem kleinen Erdhaufen saß und ihm den Rücken zuwandte. Er ging zu ihr und setzte sich neben sie.
Lous Augen waren wund vom Weinen, ihre Wangen nass von Tränen. Sie kauerte sich zusammen, als würde sie von furchtbaren inneren Krämpfen gepeinigt.
»Es tut mir leid, Lou. Diamond war ein feiner Junge.«
»Er war ein Mann. Ein feiner Mann!«
»Da hast du wohl Recht. Er war ein Mann.«
Lou schaute zu Jeb, der traurig am Stolleneingang hockte.
»Diamond hätte nicht hinter Jeb herzurennen brauchen.«
»Nun ja, der Hund war alles, was er hatte. Wenn man jemanden liebt, kann man nicht einfach so dasitzen und gar nichts tun.«
Lou raffte eine Hand voll Fichtennadeln vom Boden auf und ließ ein paar Nadeln zwischen ihren Fingern hindurchrieseln. Minuten verstrichen. »Warum passieren solche Dinge, Cotton?«, fragte sie dann.
Er seufzte tief. »Ich nehme an, Gott will uns auf diese Weise sagen, dass wir unsere Mitmenschen lieben sollen, solange sie unter uns sind, denn schon morgen könnten sie nicht mehr da sein. Ich fürchte, das ist eine ziemlich jämmerliche Antwort, aber es ist die einzige, die mir einfällt.«
Sie schwiegen wieder.
»Ich möchte meiner Mom etwas vorlesen«, sagte Lou.
Cotton musterte sie erstaunt. »Das ist die beste Idee, die ich je gehört habe.«
»Warum ist es eine so gute Idee?«, fragte sie. »Ich muss es wissen.«
»Nun, wenn jemand, den sie kannte, jemand anderer . den sie liebte ... ihr vorliest, könnte das eine Menge bewirken.«
»Meinen Sie wirklich, dass sie es bemerkt?«
»Als ich deine Mutter damals aus dem Zimmer trug, hielt ich einen lebenden Menschen in den Armen, der darum kämpfte, sich endlich aus dem ... dem Schlaf zu befreien. Ich konnte es spüren. Und eines Tages wird sie es schaffen. Davon bin ich fest überzeugt, Lou.«
Sie schüttelte den Kopf. »Es ist so furchtbar schwierig, Cotton. Ich meine, sich dazu zu bringen, etwas zu lieben, von dem man weiß, dass man es vielleicht niemals richtig haben wird.«
Cotton nickte bedächtig. »Du bist viel klüger, als es deinem Alter entspricht. Und was du sagst, hört sich völlig vernünftig an. Aber ich glaube, wenn es um Herzensdinge geht, will man auf die Vernunft wahrscheinlich zuletzt hören.«
Lou ließ die restlichen Fichtennadeln zu Boden rieseln und wischte sich die Hände ab. »Sie sind auch ein feiner Mann, Cotton.«
Er legte einen Arm um sie, und so
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