Das Versprechen der Kurtisane
aufgesetzt. »Ich schaue aus dem Fenster und lasse Mr Blackshear selbst herein, wenn er kommt. Wir fahren direkt in den Club.«
»Und falls Mr Roanoke kommt …?« Jane stand vor dem Frisiertisch und spielte mit Kamm und Bürste.
»Das wird er nicht. Mittwochs kommt er nie.« Sie stellte sich vor ihr Dienstmädchen und zwang Jane, ihr in die Augen zu sehen. »Du weißt, Mr Blackshear ist ein Gentleman, nicht wahr? Er hat dir seinen Platz in der Kutsche angeboten, weißt du noch? Er ist nicht der Mann, der etwas Unanständiges tun würde.«
Jane nickte, doch wie aufrichtig, war nicht zu sagen.
»Wir gehen einige Male zusammen in diese Clubs, wir gewinnen beide ein bisschen Geld, und das war’s.« Sie zögerte. »Ich möchte ein anständiges Leben, Jane. Ich möchte für mich selbst aufkommen, meine eigenen Rechnungen bezahlen. Aber dafür brauche ich Geld, und ich weiß nicht, woher ich sonst welches bekommen soll.« Ihr Puls hämmerte in ihrem Hals. So viel hatte sie Jane noch nie anvertraut. »All die Stunden, in denen ich allein Karten spiele, all die Zettel voller Zahlen, weißt du?«
Das Mädchen nickte, diesmal mit Überzeugung.
»Jetzt soll sich das alles auszahlen. All die Stunden haben mich auf heute Abend vorbereitet.« Und nicht nur die. Auch die langen Vormittage mit ihrem Hauslehrer, Mr Sinclair. Die Aufgaben, die Henry ihr immer gestellt hatte, über rautenförmige Glasscheiben, oder die Multiplikationsaufgaben, bei denen er gezählt hatte, wie lange sie brauchte, um zu einem Ergebnis zu kommen. Heute würde sie endlich das tun, worauf sie sich ihr Leben lang vorbereitet hatte.
Jane zog sich zurück und Lydia wartete in ihren Mantel gehüllt auf einer Bank in der Eingangshalle, bis knarrende Räder und Hufgeklapper sich näherten und kurz darauf vor ihrem Haus verstummten. Sie sprang auf und öffnete die Tür.
Mr Blackshear – Will – war bereits ausgestiegen und hatte die Treppe halb erklommen. Sein Lächeln hätte genau ausgesehen wie ihres, hätte sie auch diese unregelmäßigen Vorderzähne gehabt. In seinem achtlos übergezogenen Mantel sah er aus wie ein Byron’scher Held, nicht zuletzt weil er unrasiert war und anstelle einer Krawatte eins dieser gewagten Halstücher trug. Der Inbegriff eines Mannes, der sich auf ganz und gar romantische Weise zugrunde richten würde, ein reicher Träumer, den man ausnehmen konnte. Das war natürlich auch die Rolle, die er spielen würde.
»Komm rein.« Sie trat zurück. »Ich bin fertig, ich hole nur schnell mein Retikül.«
Sie musste sich nur umdrehen, denn der Beutel lag auf dem Tisch direkt hinter ihr. Doch in diesem kurzen Augenblick veränderte sich seine Miene, und als sie ihn wieder ansah, war das Lächeln verschwunden und sein Blick aufmerksam wie der eines Spürhunds auf ihren Mantelsaum geheftet. »Dieses Kleid habe ich noch nie gesehen«, sagte er, und ließ den Blick mit der unausgesprochenen Frage darin wieder in ihr Gesicht schnellen.
»Ach, richtig. Nun, dann sieh es dir lieber jetzt an, damit es dich später nicht zur falschen Zeit aus dem Konzept bringt.« Oft genug hatte sie Scherze über dieses Kleid und seine Kräfte gemacht, doch jetzt klang ihre Nonchalance sogar in ihren eigenen Ohren falsch. Als sie den Mantel zurückschlug, konnte sie ihm plötzlich nicht in die Augen sehen.
Auch sie hatte eine Rolle zu spielen: die der Kurtisane, die sich einen reichen Gönner angeln wollte. Er wusste das. Er würde nicht schockiert sein, dass sie ein wenig schamlos gekleidet war. Dennoch prickelte ihre Haut am Saum der zu kurzen Chemise, und die Knoten der Strumpfbänder fühlten sich so unübersehbar an wie die unzeitige Erektion eines Mannes.
Na ja, jetzt hatte er es gesehen. Jetzt konnten sie gehen. Sie hob sie Schultern, um den Mantel wieder …
»Warte.« Er klang halb erstickt, und eine Hand schoss hervor, um sie daran zu hindern, sich wieder zu bedecken.
»Was ist denn?« Sie konnte es sich schon vorstellen.
So kannst du unmöglich gehen. Weißt du, was dort für Männer ein und aus gehen? Zieh dir wenigstens einen Unterrock an!
»Nichts. Warte … kurz.«
Sie erlaubte sich, ihn anzusehen. Er bemerkte es nicht. Seine Hand umklammerte noch immer ihr Handgelenk, um den Mantel aufzuhalten, und sein Blick wanderte an ihrem Kleid auf und ab, so als würde er es nie wieder sehen und müsste es sich für immer einprägen. Sie hörte, wie er die Luft einsog.
Ein Schauer lief ihr über den Rücken, und ein niederer Teil ihres
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