Das Versprechen der Kurtisane
wirklich etwas von ihm zu befürchten hättest, oder?«
Schon wieder wollte er den Retter spielen. »Er schlägt mich nicht, das sagte ich ja schon. Und er hat sich schließlich auf die Wette eingelassen, also kann er die Schuld nur bei sich selbst suchen.« Das war natürlich nicht wahr. Wenn er ihr die Schuld geben wollte, würde er sich von Logik nicht aufhalten lassen. Ihr Magen zog sich leicht zusammen. »Wir sollten vielleicht aufstehen. Je später wir erscheinen, desto mehr Zeit geben wir den anderen für skandalöse Spekulationen.«
»Natürlich.« Der Druck seines Arms verstärkte sich, nur ein klitzekleines bisschen. »Ich gehe zuerst und schicke dir ein Zimmermädchen.« Noch einen Augenblick blieb er hinter ihr liegen, den Arm um ihre Taille, den Atem an ihrem Hinterkopf, die Erektion noch immer präsent. Dann drehte er sich weg und verließ sie – mitsamt all dieser Dinge, und mitsamt dem Bay-Rum-Geruch –, um sich waschen und anziehen zu gehen.
Auf der Schwelle zum Frühstückssalon blieb Will kurz stehen, um sich zu wappnen. Er würde es tun, und wenn es ihn umbrachte. Und wenn Kieferknochen seiner Mätresse auch nur ein Haar krümmte, würde er
ihn
umbringen. Er ging zum Buffet, wo Roanoke stand.
Der sah auf, erblickte ihn, und warf unwillkürlich einen suchenden Blick durch den Raum, den er sich sicherlich lieber verkniffen hätte.
»Sie ist nicht hier.« Er nahm sich einen Teller. »Als ich das Zimmer verlassen habe, war sie noch nicht aufgestanden.«
»Völlig erschöpft, ja?« Der Versuch, sich fröhlich und unbeteiligt zu geben, hatte etwas Groteskes. All seinen Bemühungen zum Trotz konnte Roanoke nicht verbergen, dass er den Gedanken, dass seine Mätresse sich mit einem anderen Mann vergnügte, ganz und gar nicht lustig fand.
Will erlebte einen Augenblick der wildesten Versuchung.
Ja, ich musste ihr versprechen, gestärkt wiederzukommen, sonst hätte sie mich gar nicht gehen lassen.
Doch er hatte seit dem Augenblick, in dem er aufgewacht war, mit der Versuchung gekämpft, und er konnte ihr auch in dieser Sache widerstehen. Um ihretwillen.
»Erschöpft? Jedenfalls nicht meinetwegen, so ungern ich es auch zugebe. Sie war mir leider nicht gewogen, und mir war nicht danach, mich durchzusetzen.« Pflaumenkuchen. Das hatte er vermutlich verdient. Er nahm ein Stück. »Ich hab’s lieber, wenn mir die Frauen zu Willen sind, also habe ich sie in Ruhe gelassen.«
»Wirklich?« Wie der Lump auflebte! »Bedauerlich, dass es nicht so ausgegangen ist, wie Sie es sich vorgestellt hatten. Aber ich hatte Sie ja gewarnt, dass ich für nichts garantiere. Hoffentlich wollen Sie jetzt keine Wiedergutmachungsforderungen stellen.«
»Nichts dergleichen. Aber ich wollte Sie etwas fragen: Hat sie oft Albträume?«
»Nie, soweit ich weiß.« Roanoke beschäftigte sich mit dem Kakaokrug. »Hatte sie heute Nacht einen?«
Interessant. Er hatte noch nie einen ihrer Albträume erlebt.
Ich schlafe oft bei Tageslicht
, hatte sie gesagt. Vermutlich verließ sie das Bett, sobald ihr Beschützer eingeschlafen war, und er bekam nie etwas davon mit.
Sein
Bett hatte sie nicht verlassen. Sie war sogar länger darin geblieben als er. »Ja, sie hat kaum geschlafen. Wahrscheinlich hat es sie beunruhigt, von Ihnen getrennt zu sein, oder dergleichen.« Es fühlte sich an, als müsste er eine Portion Steine erbrechen, als er diese Worte hervorbrachte.
»Vermutlich.« Mit der kühlen Befriedigung eines Mannes, der einen Rivalen gerade tüchtig verprügelt hat, griff Roanoke zu Brötchen und Butter. Falls er in irgendeiner Weise an den Albträumen seiner Geliebten interessiert war oder wissen wollte, wie es ihr ging, verbarg er es meisterhaft.
Er schlägt mich nicht.
Sagte sie die Wahrheit? War sie nur deswegen so unruhig bei dem Thema, weil sie fürchtete, ihre Stellung zu verlieren? Will spießte eine Scheibe Schinken auf und taxierte ihren Beschützer aus den Augenwinkeln.
Ich verkehre
gern
mit ihm
. Zwecklos, darüber nachzudenken. Er wandte sich ab und suchte sich einen Platz am Tisch.
»Was zum Teufel sollte das alles?«, fragte Lord Cathcart, als er sich den leeren Stuhl neben Will geschnappt hatte.
»Diplomatie. Ich habe seine Dame letzte Nacht nicht flachgelegt, und ich wollte, dass er es weiß. Ihr zuliebe.« Er schnitt ein Stück Schinken ab und spießte es auf die Gabel.
Der Viscount nahm einen großen Schluck Kaffee. »Aus dir werde ich nicht schlau.« Hörbar stellte er die Tasse auf ihrer Untertasse ab.
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