Das Versprechen des Architekten
Hobby ist, das sie mit der linken Hand beherrschen würden, wenn sie bloß ein bisschen wollten.
Anfangs also verstand ich es so, dass ihn der Anteil von „Wahrheit und Dichtung“ in einem literarischen Text interessiere. Aber ich irrte mich. Aus einem mir unverständlichen Grund interessierte ihn, ob etwas, das vorher geschrieben wurde, das zuerst nur als literarischer Text, zum Beispiel nur als Erzählung, existiert, dann auch im wirklichen Leben geschehen kann. Oder wie ich es sagen würde: ob die Wirklichkeit aus der Literatur stehlen kann, so wie die Literatur aus der Wirklichkeit stiehlt.
Ich hob den Blick vom Teller. Ich legte sogar das Besteck beiseite und sah ihn echt neugierig an. Wirklich, er hatte mich verblüfft. Und als ich den Genossen Architekt dann fragte, warum ausgerechnet das ihn interessiere, zuckte er mit den Schultern, es interessiere ihn halt. Und so wies ich ihn darauf hin, dass einige eminente Belege dafür existieren, dass die Wirklichkeit manchmal tatsächlich aus der Literatur stiehlt. Goethe hat „Die Leiden des jungen Werthers“ geschrieben und dadurch eine ganze Serie von Selbstmorden ausgelöst, die den in Goethes Roman beschriebenen imitierten. Und Dostojewski mit „Verbrechen und Strafe“ wiederum hat eine Heerschar philosophierender und mordender Raskolnikows auf dem Gewissen. Doch er schüttelte nur den Kopf. Das befriedigte ihn nicht. Aber was, wandte er ein, wenn die in einer Erzählung beschriebene Geschichte schlichtweg wahnsinnig ist? Kann die Wirklichkeit dann auch so eine Geschichte nachahmen? Und das weckte meine Neugier noch mehr. Ich wollte wissen, von was für einer Erzählung die Rede war. Er schaute mich eine Weile an, hob dann aber die Hand und rief den Kellner herbei.
Das Stopek ist eigentlich nur so ein aufgemotztes Bierlokal, und deswegen ist es hier unüblich, sich zum Essen eine Flasche Wein zu bestellen, dafür jedoch wieselten die ganze Zeit Kellner mit Tabletts voll Pilsner Hopfensaft herum. Modráček war fast schon gespenstisch spendabel, sodass ich die ganze Zeit nicht auf dem Trockenen saß, und auch das Essen war nicht zu Ende mit dem Wildkaninchen. Ich begriff, dass er sich wegen etwas überaus Wichtigem bei mir Rat holen wollte, aber dass zwischendieser Sache und dem Bedürfnis sich auszusprechen etwas stand. Er brabbelte die ganze Zeit, sagte dabei aber eigentlich nichts. Er war schon ganz konfus davon, was sich zum Beispiel auch darin immer deutlicher zeigte, dass er wiederholt mit dem Messer in das Fleisch auf seinem Teller fuhr, dann aber nichts zu sich nahm und nur die in die Sauce getauchte Gabel auf die saubere Tischdecke legte, ohne sich bewusst zu sein, was er tat.
Ich versuchte seine Gier nach der nicht beim Namen genannten Information zu stillen, auf seine unausgesprochene Frage zu antworten, indem auch ich die ganze Zeit etwas brabbelte, das heißt, seinem Redefluss meinen eigenen, der gleich inhaltsleer war, entgegenschickte. Die absolute Mehrheit von dem, was geschrieben wurde, sagte ich, ist schon geschehen oder steht davor zu geschehen. Sie schreiben eine Geschichte und können sich überhaupt nicht sicher sein, ob sich diese Geschichte nicht zwei Straßen weiter gerade abspielt. Sie arbeiten an einem Roman, aber das Leben ist Ihnen voraus, und irgendwo in Neuseeland läuft dieser Roman schon mit zweistündigem Vorsprung.
Wie ist es dann aber möglich zu erkennen, interessierte den Genossen Architekt, was nur ein gottloses schriftstellerisches Hirngespinst ist? Der Schriftsteller schreibt eine Erzählung, aber wie, verdammt noch mal, finde ich heraus, dass etwas Derartiges nie geschehen kann? Oder dass es umgekehrt verdammt noch mal geschehen wird? Ich erinnerte ihn an Marx’ oder vielleicht Engels Ausspruch, dass erst die Praxis jegliche Theorie verifiziere. Erst das Leben verifiziert jede zu Papier gebrachte Geschichte. Aber dannfand ich, dass es schon ernstlich genug sei, und begann mich wie zum Aufbruch zu erheben, ging aber in Wirklichkeit nur aufs WC, und als ich zurückkam, erwartete mich ein weiterer Teller (Lendenbraten mit Pilzen).
Es war ein buchstäblich opulentes Mahl, wie es sich heute nicht einmal mehrfache Helden der Sozialistischen Arbeit leisten können, bis mich Bedenken überkamen, im Büro des Restaurants könne in diesem Moment schon jemand zum Telefonhörer greifen und die zuständigen Stellen anrufen, um sie darauf aufmerksam zu machen, was sich hier tat. Während sich eine ordentliche
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