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Das Versprechen des Architekten

Das Versprechen des Architekten

Titel: Das Versprechen des Architekten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Braumüller <Wien>
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steckt?
    Schon fünf Jahre trennen mich von jenen Sommertagen, als ich neunundvierzig Stunden ungeteilter Zeit überNabokovs Zweizüger brütend verbrachte. Es ist ein sonniger Sommernachmittag Ende Juni 1952. Ich komme von der Bauaufsicht bei den Wohnblocks in der Botanická ulice zurück, und obwohl zu Hause zweifelsohne das Mittagessen auf mich wartet (die von mir vernachlässigte und gleichsam unsichtbare Frau vernachlässigt trotz ihrer Unsichtbarkeit keine ihrer Pflichten, kommt vor Mittag immer kurz heim aus ihrer zahnärztlichen Praxis und kocht das schon am Vorabend vorbereitete Mittagessen fertig), entscheide ich mich diesmal, der Versuchung, im Cajpl auf ein Mittagessen einzukehren, nicht zu widerstehen, zumal ich dort auch ein gut gekühltes Pilsner dazu genießen werde.
    (Du mein Zuhörer, mit Geduld gefüllt gleich einer Lammschulter mit feinblättrig geschnittenen Champignons und geriebenem Knoblauch, mit Thymian, einem zermahlenen Lorbeerblatt, einer Mischung aus Schweine- und Kalbhackfleisch und in Milch eingeweichtem Weißbrot, und dabei ebenso unsichtbar wie meine Frau, obwohl du mir kein Mittagessen bereitest und mir auch nicht, pardon, dienstfertig den Hintern abwischst, achte ich dich, vernimm es, dennoch und nehme Rücksicht auf dich, und daher fasse ich jetzt zu deinem Nutzen wieder ein paar orientierende Informationen zusammen.)
    Der Eingang in die Gastwirtschaft Cajpl befindet sich fast genau gegenüber dem Eingang zum Haus, in dem ich wohne. Links vom Cajpl, im übernächsten Haus, ist das Ambulatorium, wo ihr im ersten Stock meine Frau findet, wie sie gerade einem Patienten irgendwas aus dem Mund zieht, Ausspülen bitte, und jetzt den Mund wieder öffnen!,und rechts vom Cajpl, und ich spreche immer noch von der gleichen Position aus, vom Eingang in das Haus Nummer 3–5 oder, wenn ihr wollt, vom Fenster meines Ateliers aus gesehen, also rechts vom Cajpl gab es noch bis zum Frühjahr 1948 einen Schmuck- und Juwelierladen. Der Juwelier Filip Roth, dem das Geschäft gehörte und der als Einziger der weit verzweigten Roth-Familie die Brünner Säuberungen im Protektorat überlebt hatte, weil er sich rechtzeitig aus Brünn nach Newark in New Jersey abgesetzt hatte, hatte sich jetzt, nach dem Sieg des arbeitenden Volks, beeilt, abermals rechtzeitig zurück nach Newark zu kommen. Einige Zeit sah der Laden dann aus wie der hohle Zahn, in den meine Frau soeben silbernes Amalgam als Plombe einfüllt, Und jetzt zusammenbeißen, na, fürchten Sie sich nicht, zusammenzubeißen! Erst vor zwei Jahren hatte sich in diesem kleinen Laden eine Verkaufsstelle von Brett- und Kartenspielen etabliert.
    Also ich komme von der Bauaufsicht bei den sozialistischen Wohnblocks in der Botanická zurück, und weil ich aufs Cajpl zusteuere, gehe ich aus Richtung Freiheitsplatz auf der rechten Straßenseite, und plötzlich fange ich am Rand meines Gesichtskreises etwas in der Auslage der Brett- und Kartenspiele ein, halte auch inne und gehe dann, wie ich das schon kann, brav rücklings zurück, zurück bis zu der Auslage, und dort drehe ich mich langsam mit dem Gesicht zum Schaufenster um.
    In der Verkaufsstelle der Brett- und Kartenspiele waren sie, wie wir schon wissen, auf die Idee gekommen, jede Woche einen Zweizüger in die Auslage zu stellen, und wer von den zufällig vorüberkommenden Passanten ihn lösenkönnte, würde als Belohnung irgendeine Schachpublikation bekommen.
    Ich trat ein, und als der Verkäufer den Blick von dem Päckchen hob, in das er für einen Kunden ein Menschärgere-dich-nicht! einpackte, sagte ich gleich von der Tür aus: Den Läufer auf C2. Der Verkäufer schaute mich einen Augenblick lang begriffsstutzig an und sagte dann: Was? Ich wiederholte, dass Weiß den Läufer auf C2 ziehen müsse. Endlich hatte er kapiert. Um die Ecke auf dem Turm von St. Jakob schlug es Mittag, ein Karren fuhr rumpelnd vorbei, und dann sagte jemand auf der Straße „… hat einen Magnetanker, der beim Einrasten einen Quecksilberschalter umlegt …“, und wenn mich in dem Moment jemand nackt ausgezogen hätte, hätte er auf meinem Körper deutlich die flammenden Stigmata gesehen, die genau in der Form von Nabokovs Zweizüger verteilt waren. Jene intensiven neunundvierzig Tag- und Nachtstunden hatten mich mit jenem Zweizüger schon für immer zusammengespannt, in gewisser Weise war es auch eine Art Ehe.
    Der Verkäufer bedeutete mir, kurz zu warten, band eine Schleife um das Päckchen und befestigte den den

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