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Das Versprechen des Architekten

Das Versprechen des Architekten

Titel: Das Versprechen des Architekten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Braumüller <Wien>
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Fünfjahresplan oder sonst was propagierenden obligatorischen Aufkleber daran, nahm das Geld entgegen, rasselte mit der Kassa und kniete sich dann in die Auslage und trug von dort den Zweizüger heraus und stellte ihn auf den Ladentisch.
    Ich machte einen Zug mit dem weißen Läufer, ließ ihn mir wegnehmen vom schwarzen Bauern und gab dem schwarzen König ein „ersticktes Matt“.
    Ich hatte nicht erwartet, dass jemand das lösen würde. Das hier ist eine echte Schachscharade.
    Ich nickte und zeigte ihm noch ein paar illusorische Kombinationen, die in diesem Zweizüger versteckt waren wie falsche Taler in einem Portemonnaie. Er schaute ganz bezaubert und fragte mich dann, woher ich diesen Zweizüger kennen würde.
    Ach, aus sehr alten Zeiten. Es handelt sich freilich nicht einmal um eine so ferne Zeit als eher um eine völlig andere Epoche.
    Aha, sagte er, als hätte er verstanden.
    Aber wie sind
Sie
zu ihm gekommen, wenn ich fragen darf?
    Durch eine sowjetische Zeitschrift, die mir jemand wegen des Zweizügers gebracht hat.
    Ich zog überrascht die Augenbrauen hoch. Da jedoch legte er schon eine ältere Nummer der Emigrantenpublikation „Sowremennyje Sapiski“ vor mich auf den Ladentisch. Und erklärte mir, er würde die Kyrilliza nicht beherrschen und hätte die Aufstellung und Lösung des Zweizügers praktisch Buchstabe für Buchstabe dechiffrieren müssen nach einer Kyrilliza-Tabelle aus einem Handwörterbuch, herausgegeben von der Zentralen Kommission für Russischvolkskurse beim Zentralkomitee des Verbandes der tschechoslowakisch-sowjetischen Freundschaft. Aber dass er zugeben müsse, diesem Nabokov, oder wie er heiße, sei wirklich ein außergewöhnliches Schachproblem gelungen.
    Aber Nabokov mit seinen Zweizügern ist doch nicht nur ein Schachgenie, machte ich ihn aufmerksam, sondern vermutlich auch ein schriftstellerisches Genie.
    Gleich begann er sich bei mir zu entschuldigen: Momentan wären doch so viele neue geniale sowjetische Schriftsteller aufgetaucht, dass man sie alle zu kennen gar nicht mehr schaffen würde. Aber ich werde mir das bestimmt zu Herzen nehmen.
    Das würde ich Ihnen raten. Haben Sie noch so eine Zeitschrift in der Art?
    Vorläufig habe ich hier keine weitere sowjetische Zeitschrift. Aber auch das werde ich mir zu Herzen nehmen.
    Ich zweifelte keinen Moment daran, dass die „Sowremennyje Sapiski“ auf dem Ladentisch vor mir dieselbe Nummer der russischen Pariser Emigrantenzeitschrift war, die dieser österreichische Tscheche zusammen mit dem Le-Corbusier-Bild aus Frankreich gebracht hatte, dasselbe Exemplar, aus dem sich auch Baumeister Konečný den Zweizüger herausgepickt hatte.
    Ihre Belohnung für die Lösung des Zweizügers. Und der Verkäufer bot mir zwei kleine Bücher an, von denen ich mir eines aussuchen solle. Entweder ein Almanach mit Schachpartien von einem Turnier in Marienbad oder Kotow Aljechins „Schacherbe“. Aber ich schüttelte den Kopf, Schach würde mich gar nicht, aber schon absolut gar nicht interessieren. Als ich wegging, sah er mich ein wenig verwirrt an. Na ja, um ehrlich zu sein, ich hätte an seiner Stelle nicht weniger blöd geglotzt.

MODRÁČEK FÄNGT LÁSKA
    Der Gedanke, meine weitere Begegnung mit Nabokov wäre gar kein Zufall gewesen, kam mir komischerweise aber erst, als ich etwas später in den Keller hinunterging, um mir den in den Tiefen des Untergrunds thronenden Bärenkäfig wieder anzuschauen – und diesmal war ich mit einer Taschenlampe ausgerüstet, wie sie Speläologen in Karsthöhlen verwenden. Ja, der in dem Schaufenster mit Brett- und Kartenspielen auf mich wartende Nabokov war so etwas wie der Geist von Hamlets Vater: Deine Aufgabe ist noch nicht vollbracht, mein Sohn …
    Es schauderte mich zu Recht vor der immer deutlicheren Verkettung von Dingen, die an sich, das heißt, jedes einzelne Glied dieser Kette, als rein zufällig erschienen. Als ich dieses große unterirdische Kellergewölbe entdeckte und gleichzeitig im Nachlass meines Vaters die Erzählung von Nabokov, hatte sich beides miteinander verflochten. Und als ich den großen vergoldeten Käfig dort aufstellte, hatte ich erst mal das Gefühl, dass nun schon für alles Genugtuung geleistet und durch diesen symbolischen Akt (der Mensch ist ein Wesen der Symbole) das Versprechen, das ich meiner toten Schwester gegeben hatte, von mir erfüllt worden wäre: Wenigstens das Symbol einesGefängnisses für Leutnant Láska hatte ich errichtet. Jetzt allerdings hatte sich meine

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