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Das Versprechen des Architekten

Das Versprechen des Architekten

Titel: Das Versprechen des Architekten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Braumüller <Wien>
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einstige Begegnung mit Baumeister Konečný hineingemengt. Denn hätte er damals nicht zufällig gehört, dass ich Nabokovs Korrespondenz mit meinem Vater besitze, und hätte er nicht gerade das Le-Corbusier-Bild zur Verfügung gehabt und hätte er mir nicht im Tausch gegen Nabokovs Zweizüger das Bild angeboten und hätte er nicht festgestellt, dass ich die Zweizüger nicht habe, und wäre er sich dabei nicht so sicher gewesen, dass ich sogar bei einer ganzen Woche Konzentration Nabokovs Zweizüger nicht würde knacken können, und hätte mich die Gier nach dem Bild nicht dazu bewogen, mich mit solcher Intensität in diesen Zweizüger hineinzuknien, sodass seine Aufstellung sich mit unsterblicher Schrift in mein Gedächtnis einschrieb, hätte es mich, als ich den Zweizüger dann fünf Jahre später durch flüchtiges Hinsehen in einem Schaufenster erblickte, nicht treffen können wie ein Stromschlag.
    Den vergoldeten Käfig im Untergrund unterzubringen, war zweifellos der erste Schritt oder, wenn ihr wollt, der erste Zug eines Zweizügers gewesen. Genau, auch das war ein Zweizüger, der mich noch gehörig beschäftigen sollte. Mir wurde klar, dass ich beim zweiten Zug jetzt etwas von Leutnant Láska in den Käfig bekommen müsste. Erst dann wäre meine symbolische Handlung vollendet. Wie jedoch sollte ich herankommen an dieses Etwas?
    Ich zog sogar in Erwägung, mich Láska auf irgendeine Art und Weise aufzudrängen, mir eine Audienz bei ihm zu erwirken und ihm bei dieser Gelegenheit etwas zu„stibitzen“. Wobei gleichgültig war, was das wäre, zum Beispiel ein Krümel, der ihm beim Essen vom Mund gefallen, aber schon mit seinem Speichel benetzt, schon Teil seines Subjekts und vielleicht sogar seines Ichs war!
    Und ich verstieg mich in diesen Fantasien sogar dazu, mich auch auf ein langes, überlanges Verhör einzulassen. Denn wenn sich die Stunden vom Morgengrauen bis zu Einbruch der Nacht dahinschleppen würden, würde Láska – um mich bei der Befragung auf Trab zu halten und das Verhör, bei dem sich die Fragen mit eherner Gesetzmäßigkeit verketten, kontinuierlich durchzuziehen – in meiner Anwesenheit frühstücken, Mittag essen, vespern und Abend essen. Und während ich auf seine eintausendsiebenhundertvierundachtzigste Frage antworten würde, würde er die braune Tüte, in die seine Frau ihm das Brot eingepackt hat, öffnen, eine Scheibe ein Stück weit herausziehen und gierig in sie hineinbeißen. Und wenn er essen und gleichzeitig die nächsten Fragen stellen würde, würde sich der ganze Tisch mit Krümeln bedecken. Nach dem letzten Bissen würde er die leere Tüte zerknüllen und in den Papierkorb werfen. Und die Krümel mit dem Ellbogen vom Tisch fegen. Der auf mein Gesicht gerichtete Scheinwerfer würde mich zwar daran hindern, die zu Boden fallenden Krümel zu sehen, doch wenn ein Sinn ausgeschaltet ist, erhöht sich, wie allseits bekannt, die Aufmerksamkeit der übrigen Sinne. Somit würde ich hören, wie die Krümel auf den Fußboden regnen, und genau wissen, wohin. Und gleich darauf geschickt einen Anfall bekommen und genau an dieser Stelle zusammenbrechen, spüren, wie sich die Brösel anmein Gesicht kleben und mich wie in Gebetskrämpfen mit beiden Wangen in ihnen wälzen, dann aber auch schon wieder flink aufstehen, um zu verhindern, dass Láska mich mit Wasser überschüttet und meine wertvolle Beute dadurch von mir abspült. Ich würde die Hände heben und mir, wie aus einem besinnungslosen Schlaf erwachend, mit den Handflächen über die Wangen streichen.
    Kurz nach meinen „Ohnmachtsanfällen“ und „Krämpfen“, spinne ich meine Gedanken fort, wird Láska mich entlassen, wird er aus Angst, ich könnte ihm (wie es ihm vermutlich mit meiner Schwester passiert ist) sozusagen „unter dem Messer“ bleiben, das Verhör beenden. Sie haben einen schlechten Tag, also hau’n Sie ab, wird er sagen und mich in die gerade erwachende Běhounská hinausschieben. Es ist vier Uhr morgens, ich bin hundemüde, zugleich aber glücklich wie ein Feldhamster auf einem frisch abgeernteten Getreidefeld. Habe ich doch eine Handvoll Krümel eingehamstert, die ich geschickt von meinen Wangen gewischt habe. Ich gehe mit geballten Fäusten weg, was Láska mir irrigerweise als permanente Renitenz gegen die sozialistische Gegenwart auslegt.
    Zu Hause bitte ich zunächst meine unsichtbare Frau, mir einen Fingerhut aus ihrem Nähzeug zu leihen. Dort lagere ich in der Zwischenzeit meinen Krümelschatz, verpasse

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