Das Versprechen des Architekten
Ihr Gläschen aus, und ich hole inzwischen Ihren Hut aus der Garderobe.
DER ZWEIZÜGER
Mir war absolut klar, dass ich mich auf etwas Unschickliches einließ. Es existiert ja eine bestimmte Hierarchie, in welcher der Architekt dem Baumeister selbstverständlich übergeordnet ist. Aber die Versessenheit, dieses Bild für mich zu gewinnen, hatte mich so im Griff, dass ich schier vor Konečný Purzelbäume zu schlagen bereit war. Auch mit welchem Vergnügen er mich manipulierte, anders kann man es gar nicht nennen, war mir nicht entgangen. Und trotzdem ging ich auf sein Ansinnen ein. Ich muss wohl kaum betonen, dass mich das Bild nicht als Besitz oder als eine Investition interessierte. Ich bewundere Le Corbusier nicht nur grenzenlos, er ist fast so etwas wie ein Heiliger für mich. Und wenn ich ihn in meinem Atelier hätte, würde ich mich zu schämen beginnen, vor seinen Augen solch ein Allotria zu treiben, architektonische Zwerge in großem Stil zu produzieren. Für so magische Werte ist man dann bereit, was auch immer zu bezahlen.
Ich sagte mir, ein Zweizüger kann doch wohl kein so großes Problem sein. Alle zu einem Matt führenden Varianten der zwei Züge durchzuprobieren. Und so ging ich es systematisch an.
Wenn ich nicht nur die Grundzüge kennen werde, überlegte ich, sondern auch die anderen Gesetzmäßigkeiten des Schachspiels, wird die Anzahl der Variationsmöglichkeiten für einen Zweizüger nicht so hoch sein. Und wenn ich von der ganzen Woche, also von 168 Stunden, für jeden Tag 10 Stunden Ruhezeit, d.h. sechs Stunden Schlaf plus vier Stunden für weitere unerlässliche Notwendigkeiten, abziehe, bleiben mir 98 Stunden. Und wenn ich die eine Hälfte der Woche, also 49 Stunden, der gründlichen Auseinandersetzung mit den Regeln und Gesetzmäßigkeiten des Schachs widme, bleiben mir weitere 49 Stunden reiner Zeit, um sämtliche Möglichkeiten dieser zwei Züge auszuprobieren. Und da müsste der Teufel selber im Spiel sein, wenn ich diesen Zweizüger dann nicht knacken würde.
Ich richtete mir alles so ein, dass ich ungestört bliebe, und alles erschien mir wie ein angenehmer einwöchiger Urlaub, bei dem ich mich von der täglichen Routine des Baubooms erholen würde. Und vielleicht würde ich auch jene tiefe innere Verschiebung bemerken, von der mir Konečný versicherte, sie würde jedem widerfahren, der Nabokovs Zweizüger knackt.
Die ersten neunundvierzig Stunden widmete ich also dem gründlichen Studium des Schachspiels, von allen Arten der Eröffnung über das Mittelspiel bis zum Endspiel. Ich hatte mir mehrere (fünf) Schachbretter besorgt, und auf ihnen waren mehrere berühmte Schachpartien aufgestellt. Bis zu dem Zeitpunkt hatte ich nicht einmal geahnt, dass beispielsweise die Theorie der Schacheröffnungen eine so komplizierte Struktur darstellt. Undnatürlich vergaß ich nicht auf das Evans-Gambit. Ihm widmete ich spezielle Aufmerksamkeit, weil ich Konečnýs Erwähnung des Evans-Gambits für eine Anleitung hielt. Und so gelang es mir auch, in „Ottos Konversationslexikon“ zu eruieren, dass W. D. Evans etwa in den Jahren 1831 bis 1856 Kapitän einer Handelsflottille war und dass er beim endlosen Durchfurchen des Atlantiks und Pazifiks immer Zeit fand für eine Schachpartie mit dem Ersten Schiffsoffizier und mit am unteren Ende mit Kupferspitzen versehenen Figuren, die in die dafür vorgesehenen Löcher in den vierundsechzig Feldern eines Palisanderholzschachbretts gesteckt wurden, sodass Evans und der Schiffsoffizier sogar während der wüstesten Stürme ruhig spielen konnten, wenn das Schiff schlingerte wie von der Kette gerissen oder wie vom Veitstanz geschüttelt.
Ich will damit sagen, dass ich mir während jener neunundvierzig Stunden, in der ersten halben Woche, einigermaßen das Schachspiel beibrachte, begriff aber erst viel später, dass ich mit der Erwähnung des Evans-Gambits absichtlich auf den Holzweg geführt worden war. Konečný ergötzte sich bestimmt an der Vorstellung, wie ich mich beflissen durch die Schachtheorie büffelte, wobei – wie Konečný sehr genau wusste – zwischen dem Schachspiel an sich und Zweizügern ein wesentlicher Unterschied besteht. Hätte ich damals meine Abneigung zur Kyrilliza überwunden und mich mehr in Nabokovs Briefe an meinen Vater eingelesen, hätte ich erfahren, dass „Zweizüger, jene hinreißende und zugleich nutzlose Kunst, abseits des Schachspiels stehen. Ihren Zusammenhang mit dem Kampf auf dem Schachbrett könnte man
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